Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

72.

Als deiner Schönheit helle Strahlen
Den Urbeginn der Zeit erhellt,

Entstand die Liebe, die ihr Feuer
Geschleudert auf die ganze Welt.

Der Engel sah dein Antlitz glänzen,
Doch frei von Liebe liess es ihn.1

Da wurde sie zum Feuerquelle2
Und stürzte auf den Menschen hin;

Entzünden wollte seine Fackel
An jenem Funken3 der Verstand:

Da nahte Eifersucht mit Blitzen
Und setzte eine Welt in Brand.

Der Widersacher wollte nahen
Dem Schauplatz der geheimen Lust;

Doch eine Hand stösst, ungesehen,
Zurück des Ungeweihten Brust.

Der Schicksalswürfel and'rer Menschen
Fällt immerdar nur auf Genuss;

Mein Herz nur ist's, das gramvertraute,
Dem stets auf Gram er fallen muss.

Nach deines Kinnes Brunnen sehnte
Die Seele sich aus höh'rem Land,

Und jener krausen Locken Ringe
Ergriff zur Rettung ihre Hand.

Es schloss Hafis an jenem Tage
Der Liebe Wonnebrief an dich,4

An dem mit seinem Schreiberohre
Er jede Herzenslust durchstrich.
 

1 Weil der Engel Gott, das Urbild der Schönheit, schauend sich um den Abglanz desselben nicht kümmert.

2 D.h.: Flammte auf im Zorne.

3 Der Liebe nämlich.

4 D.h.: Entsagte an jenem Tage deiner Liebe, an dem usw.

 

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