Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

80.

Ich sprach: »Ich leide nur um dich.«
Er sprach: »Ein Ende nimmt dein Leid.«

Ich sprach: »O werde du mein Mond!«
Er sprach: »Es fügt's vielleicht die Zeit.«

Ich sprach: »Ein Mond ist dein Gesicht.«
Er sprach: »Von zweier Wochen Lauf.«

Ich sprach: »Erscheint er jemals mir?«
Er sprach: »Im Fall, er ginge auf.«1

Ich sprach: »Von dem, der wahrhaft liebt,
Nimm in der Treue Unterricht.«

Er sprach: »Zu Stand kömmt so ein Werk
Wohl nimmer durch ein Mondsgesicht.«

Ich sprach: »Zu deinem Wahngebild
Verschloss dem Blicke ich die Bahn.«

Er sprach: »Es wandelt bei der Nacht
Und kömmt auf and'rem Wege an.«

 Ich sprach: »Es trieb dein Lockenduft
Mich irrend durch die ganze Welt.«

Er sprach: »Doch wisse, er nur sei's,
Der dir zum Führer ist bestellt.«

Ich sprach: »O wonnevolle Luft,2
Die aus der Flur der Liebe strömt!«

Er sprach: »O sel'ger Abendwind,
Der aus dem Dorf des Holden kömmt!«

Ich sprach: »Mich tödtete die Lust
Nach deines süssen Mund's Rubin.«

Er sprach: »Sei du ein treuer Knecht,
Und für den Knecht lass sorgen Ihn.«

Ich sprach: »Wann schliesst dein mildes Herz
Erbarmungsvoll des Friedens Bund?«

Er sprach: »Bis Zeit dazu erscheint,
Thu' ja es keinem Menschen kund.«

Ich sprach: »Du sah'st es, wie so schnell
Der Wonne Zeit ein Ende nahm.«

 Er sprach: »So schweige doch, Hafis!
Es endet ja auch dieser Gram.«
 

1 Der Ausdruck Eger ber ajed, der auch im vorhergehenden Distichon vorkommt und mit: Es fügt's vielleicht die Zeit übersetzt ist, heisst wörtlich: Wenn es (so) aufgeht, d.h. wenn es sich gerade so fügt. Er kann aber auch auf den Mond bezogen werden und dann hiesse es, wie hier im zweiten Distichon übersetzt ist: im Falle er (der Mond) ginge auf.

2 Luft, Hawa, heisst auch Lust.

 

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