Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

81.

Wer nach deinem grünen Flaume
Sehnsucht1 fühlte, glühend heiss,

Setzt den Fuss, so lang' er athmet,
Nicht heraus aus diesem Kreis.

Heb' ich aus des Grabes Erde,
Tulpen gleich, mich einst empor,

Stellt das Brandmaal meiner Sehnsucht
Mein geheimes Lustkorn vor.2

Bis wie lang' noch, selt'ne Perle,
Hältst du es für recht und gut,

Dass dein Gram aus jedem Auge
Locke eine Meeresfluth?

Doch wo magst du wohl verweilen,
Du o selt'ne Perle? sprich!

Durch dein Wahngebild verwandelt
In ein Meer mein Auge sich.

 Deiner Locke langer Schatten
Fall' auf meinen Scheitel hin:

Denn das Herz, das liebestolle,
Findet Ruhe nur durch ihn.

Aus der Wurzel jeder Wimper
Fliesst mir Wasser; - o so komm',

Wenn dich die Betrachtung freuet,
Und du gern verweilst am Strom.

Tritt ein Weilchen aus der Hülle,
Wie mein Herz, und komm herein:

Denn, ob wir uns wieder treffen,
Möchte nicht so sicher sein.

Trotzig wendest du dein Auge
Von Hafisen, und, fürwahr,
 
Reizende Narzissen haben
Schwere Häupter immerdar.3
 

1 Sewda, das Wort des Originals, heisst wörtlich: Melancholie, Schwarzsucht, die dem grünen Flaume entgegengesetzt wird.

2 D.h.: Wenn ich einst aus dem Grabe erstehe, gleich einer mit Brandmaalen bezeichneten Tulpe, so wird es sich zeigen, dass das Brandmaal meiner Sehnsucht nach dir, das meinem gleich Tulpen blutigrothen Herzen eingedrückt ist, mein eigentliches Lustkorn, d.i. meine Erbsünde sei. Süweida, d.i. die kleine Schwarze, heisst nämlich die Erbsünde, die in der Form eines schwarzen Körnchens sich im Herzen aller Menschen befindet. Nur der Prophet war davon frei, da es ihm durch Engel herausgeschnitten wurde.

3 D.h.: Senken ihre Häupter zu Boden.

 

zurück