Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

109.

Nirgends kann ich Freundschaft schauen:
Wo die Freunde doch geblieben?

Ging die Freundschaft denn zu Ende,
Und wo blieben nur die Lieben?

Trüb erscheint der Quell des Lebens:
Kömmt kein Chiser Glück zu künden?

Farbe änderte die Rose:
Was geschah den Frühlingswinden?

Niemand spricht von einem Freunde,
Der ihm wäre treu geblieben:

Lebt kein Mensch, der Dank empfände,
Und wo weilen nur die Lieben?

Hingeschleudert in die Mitte
Ward der Ball der Gunst und Ehre;

Niemand naht dem Tummelplatze:
Was geschah dem Reiterheere?

Hunderttausend Rosen blühen,
Und kein Vogelruf will schallen:

Was begegnete den Sprossern?
Was geschah den Nachtigallen?

Nimmer spielt Sohre; - die Laute
Scheint den Flammen preisgegeben;

Niemand hat mehr Lust am Rausche:
Wo doch wohl die Trinker leben?

Freundestadt und Liebesscholle
Hiess man ehmals diese Gauen:

Ging die Liebe denn zu Ende,
Und ist kein Monarch zu schauen?1

Kein Rubin - schon sind es Jahre -
Ward dem Schacht der Huld entnommen:

Wo doch wohl die Gluth der Sonne,
Wind und Regen hingekommen?2

Die geheimen Wege Gottes
Kennt kein Mensch, Hafis; drum schweige,

 Denn von wem willst du erfahren
Was der Zeiten Schooss entsteige?
 

1 Wortspiel, da Schehri jaran, Stadt der Freunde und Scheh-riaran, die Monarchen heisst. - Schiras, sagt Hafis, war ehedem eine Stadt, in welcher die Monarchen jedermann als Freund behandelten. Wo sind nun diese Monarchen hingekommen?

2 Siehe die 2. Anmerkung zum 105. Ghasel aus dem Buchstaben Dal.

[
2 Nach der Meinung der Orientalen erhalten die Edelsteine durch die in die Tiefen der Erde dringenden Sonnenstrahlen wie nicht minder durch die Einwirkung von Wind und Regen, ihre Zeitigung und Farbe.]

 

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