Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

133.

Lang schon hat der Herzbesitzer
Keine Nachricht mehr gesendet,

Nicht ein Wörtchen mehr geschrieben,
Keinen Gruss mehr hergesendet;

Und ich schrieb wohl hundert Briefe,
Während doch an mich so wenig

Boten als Berichte sandte
Jener holde Reiterkönig.

Mir, der ich dem Wilde ähnlich
Des Verstand's verlustig gehe,

Sandt' Er Niemand, der stolzierte
Gleich dem Repphuhn oder Rehe.

Wusst' Er auch, mein Herzensvogel
Würde meiner Hand entweichen,

Sandt' Er doch kein Netz, geflochten
Aus der Schrift, der kettengleichen.1

 Wehe! Jener trunk'ne Schenke,
Mit dem Mund, der Zucker spendet,

Wusste mich berauscht und dennoch
Hat er mir kein Glas gesendet.

Sprach ich auch von heil'gen Stätten
Und von Wundern stolze Worte,

Sandte Er doch niemals Kunde
Mir von irgend einem Orte.2

Sei, Hafis, ja stets bescheiden:
Denn dir ziemt es nicht zu rechten,

Wenn der König keine Kunde
Sandte einem von den Knechten.
 

1 Die Schriftzüge meines Freundes hätten nämlich ein kettenstarkes Netz gebildet, in welches er den meiner Hand entflohenen Herzensvogel hätte locken können, d.i. seine Schriftzüge würden mich beruhigt, getröstet haben.

2 Die Morgenländer pflegen, wenn sie nicht selbst die wunderthätigen Wallfahrtsorte und andere heilige Stätten besuchen können, einen oder den anderen Bewohner derselben mit Gebeten, die sie in ihrem Namen verrichten sollen, zu beauftragen, und wenn diese ihnen berichten, dass sie sich ihres Auftrages entledigten, sie mit Dankbriefen zu erfreuen und mit Geschenken zu belohnen. - Hafis sagt nun, dass wenn er auch stolz darauf war, seinem Freunde wissen zu machen, dass er an heiligen Stätten und von Wundern umgeben lebe (worunter er die Liebe und ihre Wunder versteht) und für ihn an so heiliger Stätte bete, so war er doch nie so glücklich gewesen, von irgend woher eine Kunde, d.i. einen Dankbrief von ihm zu erhalten.

 

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