Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

135.

Ich steh' nicht ab von dem Verlangen.
Bis dass ich meinen Wunsch erreiche,

Der Leib dem Seelenfreund sich eine,
Wo nicht, dem Leib die Seel' entweiche.

Nicht kann nach Art der Ungetreuen
Stets einen ander'n Freund man lieben:

Mich fesselt Seines Gaues Erde,
Bis seelenlos der Leib geblieben;

Und auf der Lippe schwebt die Seele,
Indess die Furcht das Herz verzehret,

Dass sich vom Leib die Seele trenne,
Eh' ihr Sein Mund den Wunsch gewähret.

Es fühlt beengt sich meine Seele
Aus Lust nach Seines Mundes Spenden:

Nie fügt sich ja Sein Mund dem Wunsche1
Der Eigner von so engen Händen.2

 Erschliesse meines Grabes Pforte,
Werd' ich dem Tode einst zu eigen,

Und sieh durch meines Busens Feuer
Dem Leichentuche Rauch entsteigen!

Erhebe dich, dass auf der Wiese
Durch deines Wuchses hohes Streben

Zipressenbäume Früchte tragen
Und nied're Sträuche stolz sich heben.

In Hoffnung auf der Flur zu finden
Sie, deiner Wange Bild, die Rose,

Erscheint der West und schwärmt beständig
Im Kreis herum auf grünem Moose.

Entschlei're dich, auf dass die Leute
Verblüfft und staunend auf dich schauen;

Erschliess' den Mund, auf dass um Hilfe
Die Männer rufen und die Frauen!

An jedem Bruche deines Haares
Sind fünfzig Angelchen3 zu sehen:

 Wie soll dies Herz, bereits gebrochen,
Noch jenem Bruche widerstehen?

Man hört im Heer der Liebeshelden
Beständig loben nur und preisen

Hafisens Namen, wo er immer
Ertönet in gesell'gen Kreisen.
 

1 Das Wort Wunsch, Kiam, hat im Persischen noch die Bedeutung von Gaumen.

2 D.i. der Armen, Mittellosen.

3 D.i.: An jedem Buge, jeder Locke viele zarte Spitzen.

 

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