Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

155.

Zur Rose sprach das Veilchen gestern
Und gab ein holdes Zeichen ihr:

»Den Glanz, den man an mir bewundert,
Gab eines Jemand's Locke mir.«

Mein Herz war ein Geheimnisskästchen,
Allein das Schicksal schloss gewandt

Den Deckel zu und gab den Schlüssel
In eines Herzensräubers Hand.

Ich schleppte mich zu deinem Thore
Wie nur ein krüppelhafter Mann:

Gab doch der Arzt als Heilungsmittel
Die Mumie1 deiner Huld mir an.

Den Wächtern sagt' Er, als vorüber
An mir Ihn führt des Weges Lauf:

»Weh, mein ermordeter Geliebter,
Welch' eine Seele gab er auf!«

 Ein frohes Herz, ein kräft'ger Körper
Und gute Laune fehle nie

Demjenigen, der einem Schwachen
Die Hände gab und Beistand lieh!

Geh' hin, und heile dich erst selber,
Du, der so gut zu rathen weiss!

Wen gaben Wein und süsse Liebchen
Nur irgend einem Schaden Preis?

Hafisens Herz gleicht einem Schatze:
Geheimnissperlen füllen ihn;

Er gab davon durch deine Liebe
Schon eine Weltensumme hin.
 

1 Mumia, Mumie ist, nach dem persischen Wörterbuche Ferhengi Schu'uri, der Name eines kostbares Steinharzes, das in einer Höhle bei Schiras gefunden wird und die Eigenschaft besitzen soll, Beinbrüche augenblicklich zu heilen.

 

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