Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

162.

Früh, als des Ostens Fürst die Fahne
Aufpflanzte auf der Felsenwand,

Da pochte an des Hoffers Pforte1
Mein Freund mit des Erbarmens Hand.

Als es dem Morgen klar geworden,
Wie's um des Himmels Liebe steht,

Da kam er und verlachte alle,
Die sich im Glücke stolz gebläht.

Als sich mein Holder gestern Abends
Im Saal erhob zu Tanz und Scherz,

Da löst' er seiner Haare Knoten
Und schlang sie um der Freunde Herz.

Ich wusch mir von des Heiles Farbe
Die Hände rein im Herzensblut,2

Sobald Sein weinerfülltes Auge
Die Nüchternen zur Tafel lud.

Welch' Eisenherz hat Ihn gelehret,
Auf solche Art verschmitzt zu sein?

Stürzt' Er am Ersten doch auf Jene,
Die Nachts sich dem Gebete weih'n.

An einen Königsreiter dachte
Das arme Herz und eilte fort:

Wer auf das Herz3 der Reiter zielet,
Den schütze du, allmächt'ger Hort!

Blut trinkend, opferten wir Seelen
Für Seiner Wange Glanz; doch Er

Stiess, als Er Seinen Zweck erreichte,
Zurück der Seelenopf'rer Heer.

Wie könnte ich in woll'ner Kutte
Mit einem Fallstrick Jenem nah'n,

Der, panzerhaarig4, mit der Wimper
Selbst hin auf Mörder stürzen kann?

Auf des Monarchen5 günst'gem Würfel
Und seinem Segen weilt mein Blick:

 Erfüll' den Herzenswunsch Hafisens,
Denn es versprach sein Loos ihm Glück.

Ein sieggekrönter König pranget
Schedschâ'u mülk u din Manssur:6

Sein Grossmuthsinn verlacht die Wolke,
Wenn sie im Frühling tränkt die Flur.7

Seitdem durch seine Hand der Becher
Geadelt wurde und geehrt,

Hat das Geschick das Glas der Freude
Auf aller Trinker Wohl geleert;

Aus seinem gold'nen Schwerte blitzte
Der Sieg, als er, sich selbst genug,

So wie der Sonne Licht die Sterne,
Zu Tausenden die Feinde schlug.8

Herz, bitte Gott um seines Lebens
Und seines Reich's Beständigkeit!

Es schlug ja dieses Hofes Münze
Der Himmel für die Ewigkeit.
 

1 D.i.: An meine (des Dichters) Pforte.

2 D.h.: Ich verzweifelte schmerzlich am Heile.

3 D.i.: Das mittlere Heerestreffen, in dem sich der König zu befinden pflegt.

4 D.h.: So dichte, am Rücken herabhangende Haare tragend, dass sie wie einen Panzer oder einen Schild bilden, wie das bei einigen turcomanischen Stämmen Sitte ist.

5 Schah Schedscha's.

6 Der Name und Beiname des dem Weine so ergebenen Königs war Schah Schedscha' ul mülk wad din Manssur, d.h. der Tapfere des Reiches und Glaubens, der Siegreiche.

7 D.h.: Er ist grossmüthiger als die die Fluren tränkende Frühlingswolke.

8 Dies bezieht sich auf mehrere Siege, die Schah Manssur gegen die überlegenen Streitkräfte des Eroberers Timur und der Turcomanen davontrug.

 

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