Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Sin

1.

An das Ufer des Araxes,
Ostwind, deine Flügel lenkend

Küsse jenes Thales Erde,
Deinen Hauch mit Moschus tränkend:

Dort erscheint Selma's1 Behausung,
- Der ich hundert Grüsse schicke -

Laut durchlärmt von Maulthiertreibern
Und Geläute2, deinem Blicke;

Küss' der Seelenfreundin Sänfte
Und dann sprich mit bangem Flehen:

»Es verbrennt mich deine Trennung:
Theure, komm mir beizustehen!

Mich, der der Ermahner Rede
Einen Klang der Zither nannte3,

Nahm die Trennung bei den Ohren
Was zur Gnüge mich ermannte.«

Schwärme Nachts, von Furcht geborgen:
Sind doch in der Stadt der Liebe

Alle, die die Nacht durchschwärmen.
Wohlbekannt dem Vogt der Liebe.

Liebe ist kein Spiel zu nennen:
Herz, da ist der Kopf zu wagen;

Denn nicht mit der Gierde Schlägel
Lässt der Liebe Ball sich schlagen.

Gern wird trunk'nem Freundesauge
Jedes Herz die Seele spenden,

Gibt auch sonst, wer nüchtern heisset,
Seine Wahl nicht aus den Händen.

Während fröhlich Papageie
Auf dem Zuckerrohr sich wiegen,

Schlagen sehnsuchtsvoll die Pfötchen
Über's Haupt die armen Fliegen.

Wenn dem Freund Hafisens Name
 Von des Rohres Zunge glitte,

Hätt' ich an den hohen König
Wahrlich keine and're Bitte.
 

1 Selma, der Name einer berühmten Liebenden, den Hafis hier seiner Geliebten beiliegt.

2 Das Geläute der Glocken nämlich, die den Maulthieren und Kamelen der Karawanen um den Hals gebunden werden.

3 D.i. Die schnell wie der Klang einer Zither meinem Gehöre entschwand.

 

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