Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Ain

3.

Zur Morgenzeit, wenn aus dem Köschke,
Dem einsamstillen, der Natur,

Des Ostens Fackel Strahlen sendet
Nach allen Gegenden der Flur;

Wenn aus des Horizontes Busen
Der Himmel seinen Spiegel1 zieht,

Worin in tausendfachen Formen
Man das Gesicht der Erde sieht;

Wenn in des Lustgebäudes Zellen,
Wo der Dschemschid des Himmels2 lebt,

Sohre die Orgeltöne stimmet
Und sich zum Reigentanze hebt,

Da scheint der Harfe Ton zu sagen:
»Wer läugnet was die Liebe thut?«

Und lachend scheint das Glas zu fragen:
»Wer hat zu hindern es den Muth?«

 Betrachte des Geschickes Treiben,
Und greife nach der Lust Pocal,

Denn als die trefflichste der Thaten
Bewährt sich dies auf jeden Fall.

Ein Trug nur ist und eine Schlinge
Das Haar des Liebchens »Welt« genannt:

Das haben, fern von allem Streite,
Die Weisen alle schon erkannt.

Begehre dass der König lebe,
Ist dir das Heil der Erde werth:

Er ist ein gnadenreiches Wesen,
Das Huld und Vortheil nur gewährt;

Als Gegenstand der ew'gen Gnade,
Als Hoffnungsauge hell und klar,

Als Weltgeist strahlt voll Kraft und Wissen
Schedscha', der König, immerdar.

Hafis, verweil' an seinem Thore,
So wie ein Knecht bei seinem Herrn;

Er ist ein Fürst der Gott gehorchet,
Und ihm gehorchen alle gern.
 

1 Die Sonne nämlich.

2 Die Sonne.

 

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