Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Ghain

1.

Ich ging, gelockt vom Rosendufte,
Des Morgens auf die Flur um hier,

Dem herzberaubten Sprosser ähnlich,
Das kranke Hirn zu heilen mir;

Mit unverwandtem Auge blickt' ich
Der Rose Sur's1 in's Angesicht,

Die in der Finsterniss der Nächte
Hell strahlet wie ein Fackellicht;

Sie war in Stolz auf ihre Schönheit
Und ihre Jugend so versenkt,

Dass sie durch tausendfache Kälte
Des armen Sprossers Herz gekränkt.

Auch der Narcisse Auge füllte
Mit Wasser sich im Sehnsuchtsschmerz.

Und hundert Maale brannt' die Tulpe
Aus Trauer sich in Seel' und Herz;

 Die Lilie zog das Schwert der Zunge
Und führt' damit des Vorwurf's Streich:

Den Mund erschloss die Anemone,
Den schnöden Ohrenbläsern gleich,

Bald in der Hand die Flasche haltend,
Wie Jene, deren Gott der Wein.

Und bald das Glas2, den Schenken ähnlich,
Die Trunk'nen sich als Diener weih'n.

Geniess' der Freude und der Jugend,
Wie Rosen thun, denn, o Hafis,

Verantwortlich ist kein Gesandter
Für das was man ihn künden hiess.3
 

1 So heisst die in Persien häufig gezogene, dunkelrothe, vielblättrige und wohlriechende Rose.

2 Die knospende Anemone wird der Flasche, die erschlossene dem Glase verglichen.

3 D.h. Ich gab dir den Rath zu geniessen; thust du es nicht, so bin ich nicht dafür verantwortlich.

 

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