Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Lam

9.

Der Liebe Duft hab' ich gerochen,
Und des Genusses Blitz geseh'n:

Komm, kühler Nord, und lass vor Wonne
Bei deinem Wohlduft mich vergeh'n!

Du Führer von des Freund's Kamehlen
Halt' an und komm in's Standquartier,

Denn die Geduld, die schöne, mangelt
Aus Sehnsucht nach der Schönheit mir!

Lass, o mein Herz, die Klage fallen,
Die dir der Trennung Nacht erpresst,

Zum Dank', dass des Genusses Morgen
Den Vorhang wieder steigen lässt;

Und weil der Freund den Frieden wünschet
Und die Vergebung will erfleh'n,

Kann man die Pein des Nebenbuhlers
In jeder Lage überseh'n.

Komm, denn den Vorhang meines Auges,
Wie Rosen roth und siebenfach,

Benützte ich um auszuschmücken
Der Wahngebilde Werkgemach.1

Mir wohnt in dem beengten Herzen
Das Wahnbild deines Mundes2 nur;

O folgte Niemand doch, mir ähnlich,
Der Wahngebilde eitler Spur!

Betrübt, und zwar aus gutem Grunde,
Bin ob des Seelenfreundes ich:

Betrübt ja sonst ob seiner Seele
Kein Sterblicher mit Vorsatz sich.

Ermordet liegt, durch deine Liebe,
Hafis, der Fremdling, hier; allein

Kömmst du vorbei an meinem Grabe,
So soll mein Blut gerecht dir sein!
 

1 D.h. Die durch meine Thränen rothgefärbten sieben Häutchen des Auges benütze ich, um die Werkstatt der Wahngebilde (der Phantasie), nämlich das Auge, damit auszuschmücken, wie man bei festlichen Gelegenheiten die Häuser mit Teppichen und Stoffen schmückt. Der Sinn ist: Komm, denn ich weine blutige Thränen, wenn ich dich nicht sehe, und diese blutigen Thränen sollen dir einen festlichen Empfang bereiten.

2 Deines Mundes nämlich, der so klein ist, dass er ein Wahnbild, ein Nichts scheint.

 

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