Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

6.

Oft schon hab' ich's ausgesprochen,
Und nun sag' ich's abermal:

»Diese Bahn wandl' ich, Entherzter,
Nimmermehr aus eig'ner Wahl.«

Wie den Papagei am Spiegel
So behandelte man mich:1

Nur was mich der ew'ge Meister
Sprechen hiess, das spreche ich.

Sei ich Dorn nun oder Rose,
Einen Gärtner gibt's fürwahr,

Und so wie er mich genähret
So gedeih' ich immerdar.

Freunde, schimpft auf mich Entherzten,
Auf mich Blöden nimmer doch!

Schon besitz' ich eine Perle,
Nur den Kenner such' ich noch.

 Schmählich auf belappter Kutte
Ist der rosenfarbe Wein:

Schmäle nicht, denn sieh, ich wasche
Sie von Gleissnerfarben rein.

Wer verliebt ist, weint und lachet
Aus gar unterschied'nem Grund:

Wird es Nacht, so sing' ich Lieder,
Und des Morgens klagt mein Mund.

Zu mir sprach Hafis: »O rieche
Nicht zum Staub der Schenkenthür!«

Nimmer schmäle er; ich rieche
Nur choten'schen Moschus hier.
 

1 Dies bezieht sich auf die Art der Orientalen, den Papagei sprechen zu lehren: man täuscht ihn nämlich dadurch, dass man, nachdem man ihn einem Spiegel gegenüber gestellt, sich hinter dem Spiegel in einem Vorhange verbirgt, und, so verborgen, die Worte hersagt, die man dem Papagei lehren will. Dieser hält nämlich sein Bild im Spiegel für einen anderen Papagei, und glaubt dieser spreche die Worte des hinter dem Spiegel Verborgenen, wodurch er ihn nachzuahmen und die hergesagten Worte zu sprechen veranlasst wird.

 

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