Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

11.

Was thue ich, o wandelnde Zipresse,
Mit Rosenbeet und Rose, ohne dich?

Was tändle ich mit Hyacinthenlocken,
Was thu' mit liliengleichen Wangen ich?

Ach, weil der Übelwoller mich getadelt,
Erblickte ich dein holdes Antlitz nicht:

Was thue ich? Ich habe ja mit nichten,
Dem Spiegel gleich, ein stählernes Gesicht.1

Zieh' hin, du Rathertheiler, und betrachte
Die Trinker nicht mit der Verachtung Blick!

Was thue ich? Der mächtige Gebieter
Der dieses thut2, er heisset: das Geschick.

Wenn aus dem Hinterhalt, dem unsichtbaren,
Die Eifersucht als Blitzstrahl auf mich fährt,

Was thue ich? Nur du hast zu gebieten:
Hat meine Garbe doch der Brand verzehrt.

 Da es dem Türkenkönig so gefallen,
Und er mich tief in einen Brunnen warf,

Was thue ich, wenn Tehemten's Erbarmen
Mir nicht die Hand zur Hilfe reichen darf?3

Will mir das Feuer, das auf Sina lodert,
Mit einer Fackel nicht zur Seite steh'n,

Was thue ich, der ich im nächt'gen Dunkel
Mir nicht zu rathen weiss im Thal Eimen?4

Hafis, den hohen Paradiesesgarten
Betrachte ich als mein ererbtes Haus:

Was thu' ich denn und suche zur Behausung
Mir diese öde, wüste Stätte aus?
 

1 Um den Tadel daran abprallen zu lassen; unter dem Spiegel ist hier ein Stahlspiegel gemeint.

2 D.h. Der die Trinker zum Trinken bestimmt.

3 Eine Anspielung auf ein in Firdussi's Schahname enthaltenes Abenteuer des Helden Rustem, der den Beinamen Tehemten, d.i. der Tapfere, führte. Dieser befreite nämlich seinen Neffen, den Prinzen Bischen, Sohn Kiw's, aus einem Brunnen, in welchen ihn der Türkenkönig Efrasiab hatte werfen lassen, weil er sich mit dessen Tochter Menidsche-Banu heimlich vermählt hatte.

4 Moses ging einst mit seinem Weibe zur Nachtzeit durch das Thal Eimen, und als er sich in der Finsternis nicht zu rathen noch zu helfen wusste, erschien ihm plötzlich ein Licht vom Berge Sinai (Sina), dem er sich näherte, und wo er von Gott den Befehl erhielt, sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft zu befreien.

 

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