Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

28.

Freunde, lasst die Zeit der Rosen
Uns der Lust und Freude weihen,

Lasst dem Wort des alten Wirthes
Uns das Ohr der Seele leihen!

Grossmuth wohnt nicht bei den Menschen,
Und da Freuden schnell vergehen,

Frommt's den Teppich1 zu verkaufen,
Und dafür Wein zu erstehen.

Wonnig wehen holde Lüfte;
Sende, Gott, uns einen Zarten,

Dass wir Rosenwein geniessen,
Schauend seiner Wange Garten!

In den Weg verdienten Leuten
Tritt des Himmels Orgelbauer:2

D'rum, wie sollten wir nicht klagen,
Brausen3 nicht bei solcher Trauer?

Als die Rose sott, begossen
Wir sie nicht mit Weinesfluthen:

Darum sieden wir in Sehnsucht,
Und in der Entbehrung Gluthen.

Lasst vermeinten Wein uns trinken
Aus der Tulpe Glas! - Von hinnen,

Böse Blicke! denn wir kamen
Ohne Lied und Wein von Sinnen.

Wem, Hafis, kann man das Wunder
Jemals mitzutheilen wagen,

Dass wir Sprosser sei'n und schweigen
In der Rose Wonnetagen?
 

1 Den Teppich nämlich, worauf die Mohammedaner ihr Gebet zu verrichten pflegen.

2 Der Himmel, d.i. das Schicksal, wird hier einem Orgelbauer oder Orgelspieler - denn das Wort des Textes, Erghanunsas, heisst Beides - verglichen, der durch die verführerischen Melodien, die er aufspielt, verdiente Leute bethört oder übertäubt.

3 Wie die Orgel selbst thut.

 

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