Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

32.

Deines Auges Krankheit1 raubte
Mir die Sinne gestern Nacht;

Doch die Anmuth deiner Lippe
Hat sie mir zurückgebracht.

Deinen Flaum, den moschusgleichen,
Liebe ich nicht erst seit heut:

Dieses Neumondglas2 berauschet
Mich bereits seit langer Zeit.

Meinen festen Sinn belob' ich,
Weil, bist du auch hart und rauh,

Doch mein Fuss nie müd' geworden
Aufzusuchen deinen Gau.

Hoffe nicht dass ich gesunde3
Ich, der stets in Schenken weilt:

Zechern - sagt' ich - will ich dienen,
Bis der Tod mich einst ereilt.

Hundert Fährlichkeiten drohen
Jenseits auf der Liebe Bahn:

Sage nicht: »Mein Leben endet,
Und geborgen bin ich dann.«

Künftig kümmert mich kein Neider
Der mit Marterpfeilen naht:

Bin ich doch bei dem Geliebten
Der da Bogenbrauen hat.

Küsse auf dein Onixkästchen
Sind wohl nimmer mir verwehrt,

Denn die Lieb' und Treue liess ich,
Warst du hart auch, unversehrt.

Ein gar kriegerischer Götze
Plünderte mein Herz, und schwand;

Wehe, fasst des König's Gnade
Mich nicht hilfreich bei der Hand!

Bis zum Himmel hebt Hafisen's
Stufe der Gelehrtheit sich:

 Doch der Gram den du mir schaffest,
Hoher Buchs! erniedrigt mich.
 

1 D.h. Das Schmachten deines Auges.

2 D.i. Der Lippenflaum, den Hafis hier der nachenähnlichen Form eines Trinkgefässes vergleicht, dessen sich die Derwische bedienen.

3 D.h. Mich bessere.

 

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