Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

56.

Wenn mich auch die Sorge quälet,
Dass die Gegner auf mich schmähen,

Werd' ich doch des Rausches Reize
Nie vor mir verschwinden sehen.

Schnöd ist selbst die Tugend Jener
Die im Zechen Schüler heissen;

Kann da ich, der Weltverruf'ne,
Frommer Werke mich befleissen?

Nenne mich Vernunftberaubten,
Einen König wirrer Köpfe:

Bin ich auf der ganzen Erde
Doch der grösste aller Tröpfe.

Mal' mit Herzblut mir ein Zeichen
Auf die Stirn, damit man wisse

Dass ich, ein bestimmtes Opfer,
Dir, o Ketzer, fallen müsse.

Traue mir; dann aber ziehe
Eilends fort, um Gotteswillen!

Wüsstest sonst dass diese Kleider
Einen Nicht-Derwisch verhüllen.

Eile, Wind, mein blutend' Liedchen
Einem Freunde vorzutragen

Der mir in die Seelenader
Wimpernflieten eingeschlagen.

Heb' den Saum auf vor dem Blute
Meines Herzens; du begreifest

Dass du selber dich besudelst
Wenn du an die Wunde streifest.

Hab' als Scheïch und hab' als Zecher
Nichts zu schaffen mit den Leuten:

Selbst bewahr' ich1 mein Geheimniss
Und begreife meine Zeiten.
 

1 Wörtlich: Ich bin der Hafis. d.i. Bewahrer meines eigenen Geheimnisses.

 

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