Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Mim

75.

Beginn' ich beim Abendgebete
Der Fremdlinge1 weinend zu stöhnen,

Erzähl' ich gar selt'ne Geschichten
In fremden und klagenden Tönen;

Und weine, des Freund's in der Heimath
Gedenkend, so stark, dass auf Erden

Der Brauch und die Sitte des Reisens
Durch mich zur Unmöglichkeit werden.2

Ich bin ja dem Lande des Freundes,
Nicht fremdem Gebiete, entsprossen:

D'rum sende, allmächt'ger Beschützer,
Mich wieder zu meinen Genossen!

Beim einigen Gotte beschwör' ich
Dich, Führer, mir Hilfe zu bringen,

Um wieder im Gaue der Schenke
Die Fahne der Freude zu schwingen!

 Wie könnte der rechnende Scharfsinn
Mich unter die Greise versetzen?

Ich spiele ja Spiele der Liebe
Mit einem noch kindischen Götzen.

Mich kennt nur der Ost und der Nordwind,
Und sonst kennt mich Niemand hienieden:

Mein Theurer, denn ausser dem Winde
Ward, ach, mir kein Trauter beschieden!

Die Luft in der Wohnung des Freundes
Ist Wasser, das Leben mir spendet:

O bringe mir, Ostwind, ein Düftchen
Schirasischer Erde entwendet!

Die Thräne erschien, um die Schande
Mir offen in's Antlitz zu sagen:

Ein Hausfreund war's, der mich verrathen:3
Wen soll ich nun diesfalls verklagen?

Die Harfe Sohre's liess am Morgen
- Ich hört' es - die Worte erklingen:

 »Ich bin aus der Schule Hafisens,
Der lieblich kann sprechen und singen.«
 

1 D.h. Beim Gebete, das die in der Fremde Lebenden Abends verrichten, wo sich ihrer eine noch grössere Sehnsucht nach der Heimath als zu anderen Stunden bemächtigt.

2 D.h. Ich weine so stark, dass der Strom meiner Thränen, alle Wege überschwemmend, künftig die Sitte des Reisens unmöglich macht.

3 Die in meinem Auge wohnende Thräne ist nämlich der Hausfreund, der mich verrathen hat.

 

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