Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Nun

6.

Vergnügen wecken Lenz und Rose,
Und brechen der Gelübde Macht;

Reiss' dir den Kummer aus dem Herzen,
Und freue dich der Rosenpracht!

Schon kam der Ostwind, und die Knospe
Trat in verliebter Schwärmerei

Heraus aus ihrem eig'nen Wesen,
Und riss sich selbst das Kleid entzwei.

Der Treue Pfad zu wandeln lerne,
O Herz, vom reinen Wasser nur;

Den Gradsinn und die Freiheit suche
Nur bei Zipressen auf der Flur.

Die Knospenbraut, so schön geschminket,
So freundlich lächelnd und so zart,

Raubt Glaub' und Herz vor aller Augen,
Und thut es auf gar schöne Art.

 Der liebevollen Sprosser Klage;
Der Nachtigallen Wirbelton

Erschallt, in Sehnsucht nach der Rose,
Aus ihrem Trauerhause1 schon.

Sieh wie des Ostes Hand die Rose
Mit krausen Locken rings umflicht,

Und wie das Haar der Hyacinthe
Sich wiegt auf des Jasmin's Gesicht.2

Der Zeitgeschichte Überlief'rung
Verlange vom Pocal, Hafis,

So wie es dich das Wort des Sängers
Und das Fetwa des Weisen hiess.
 

1 D.i. Aus ihrer Kehle.

2 Unter Rose und Jasmin ist hier die Wange des Geliebten verstanden. Die Hyacinthe wird bekanntlich dem Haare oder dieses ihr verglichen.

 

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