Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe He

2.

Ich schrieb an meine Freundin
Mit meines Herzens Blute:

»Mir ist wie am Gerichtstag,
Getrennt von dir, zu Muthe.

Mein Aug' hat hundert Zeichen
Die Trennung zu bewähren:

Das einz'ge Zeichen leider
Sind nicht die vielen Zähren;«

Und was ich auch versuchte,
Es wollte nicht gelingen:

Versucht man schon Versuchtes,
Wird es nur Reue bringen
.1

Mit einem Arzt berieth ich
Mich meiner Freundin wegen;

Er sprach: »Qual bringt die Nahe,
Doch die Entfernte - Segen.«

 Jäh hob der Ost den Schleier
Von meines Mondes Wangen:

Da schien die frühe Sonne
Aus Wolken aufgegangen.

Ich sprach: »Man wird mich tadeln,
Wenn ich dein Dorf umschleiche.«

Bei Gott! wo ist die Liebe,
Die Tadel nicht erreiche?

Gib was Hafis begehrte:
Ein Glas. Bei'm süssen Leben!2

Es wird ihm die Genüsse
Der Wunderschale geben.
 

1 Ein bekanntes arabisches Sprichwort. Dies Ghasel ist halb persisch, halb arabisch, so dass abwechselnd die erste Hälfte eines jeden Distichons persisch, die zweite arabisch ist.

2 Schwöre ich es.

 

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