Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe He

10.

Um die Fackel deiner Wange
Kreist, ein Falter, selbst das Licht,

Und, dein Maal erblickend, kümmert
Mich die eig'ne Lage nicht.

Der Verstand, nach dessen Urtheil
Man Verliebte fesseln soll,

Ward vom Dufte jener Ringe
Deiner Locken selber toll.

Seine Seele gab dem Oste
Flugs als Botenlohn das Licht,

Als vom Lichte deiner Wange
Es durch ihn erhielt Bericht.

Müsste ich für deine Locke
Auch dem Wind' die Seele weih'n,

Sei's! Selbst tausend Edle mögen
Des Geliebten Opfer sein!

Hat auf Seiner Wangen Gluthen
Irgend wer ein Rautenkraut

Wirkungsreicher als das Körnchen
Seines schwarzen Maal's geschaut?1

Gestern konnt' ich, Eifersücht'ger,
Nimmer auf dem Fusse steh'n,

Als ich an der Hand des Fremden
Mein geliebtes Bild2 geseh'n.

Was ersann ich nicht für Listen?
Fruchtlos war, was ich erdacht:

Er behandelte als eitel
Alle meine Zaubermacht.

Nun des Freundes Lippe blühet,
Band ich mich durch diesen Schwur:

Mährchen, die von Bechern handeln
Bring' ich auf die Zunge nur.

Lass von Schule und von Kloster
Die Erzählung unberührt,

 Weil Hafis im Haupte wieder
Sehnsucht nach der Schenke spürt.
 

1 Die Perser pflegen Rautenkraut oder dessen Samenkörner in's Feuer zu werfen, und mit dem Rauche derselben Personen (gewöhnlich Kinder) zu durchräuchern, die sie vor dem bösen Blicke bewahren wollen. - Das Maal des Freundes auf seinem glühenden Gesichte ist das beste Samenkorn des Rautenkrautes zur Abwendung des Cattiv' occhio, sagt der Dichter.

2 D.i. Meinen Geliebten.

 

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