Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

1.

Herz, am Gaue deines Freundes
Wandelst nimmer du vorbei,

Hast was nöthig ist zum Glücke
Weisst doch nicht was handeln sei;

Hältst den Schlägel »Wunsch« in Händen,
Schlägst damit den Ball doch nicht,

Thust mit einem solchen Falken
Auf die Lust der Jagd Verzicht!

Dieses Blut, das dir durchwoget
Deines Herzens Ocean,

Wendest du nicht zu der Färbung
Eines schönen Bildes an.1

Deiner Kehle Odem wurde
Nicht durchwürzt von Moschusduft,

Denn du geh'st am Gau des Freundes
Nicht vorbei, wie Morgenluft.

Heim von dieser Wiese - fürcht' ich -
Bringst du keinen Rosenstrauss,

Denn du hältst im Rosengarten
Nicht den Stich der Dorne aus.

Einem vollen Becher gleichst du;
Doch du wirfst zu Boden ihn,

Und des Rausches böse Folgen2
Kommen nicht dir in den Sinn.

Es enthält dein Seelenärmel
Hundertfält'gen Moschus3 zwar,

Doch du bringst ihn nicht der Loke
Eines Freund's zum Opfer dar.

Ziehe hin, Hafis; denn üben
Alle auch des Dienstes Pflicht,

An des Freundes hohem Throne
Üb'st du sie der Einz'ge nicht.
 

1 D.h. Du unterlässest es, das Angesicht des schönen Geliebten, als Beweis deiner Liebe, mit dem Blute zu färben, das aus dem Herzen in das Auge steigend, als Thräne herabfallen sollte.

2 Hierunter ist die Reue gemeint.

3 Unter dem Moschus werden hier edle Eigenschaften der Seele verstanden.

 

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