Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

4.

Rette mich, o Fürst der Schönen,
Aus dem Gram der Einsamkeit!

Ohne dich bin ich verloren:
Kehre heim, schon ist es Zeit!

Hat doch Sehnsucht mich und Trennung,
Fern von dir, so übermannt,

Dass mir zur Geduld die Kräfte
Gleiten werden aus der Hand.

Der du auf dem Leidenpfühle
Mich durch deine1 Schmerzen heilst,

Und in einsam stiller Ecke
In Erinn'rung bei mir weilst!

Nur das Pünktchen eines Zirkels
Bin ich in dem Schicksalskreis:

Was du sinnest ist mir Gnade,
Was du willst ist mir Geheiss.

Keinen Dünkel, keine Selbstsucht
Kennt man in der Zecher Welt,

Weil man Eigensinn und Dünkel
Dort für Ketzerglauben hält.

Herr, wem mache ich begreiflich
So Unfassliches wie dies:

Dass der üb'rall Gegenwärt'ge
Keinem noch die Wange wies?

Über Seine Locke klagt' ich
Gestern Nachts bei'm Ost; doch er

Sprach: »Du irr'st; in Zukunft denke
An so Schwarzes nimmermehr!«

Hundert Morgenwinde führen
Hier in Ketten2 Tänze auf:

Herz, es ist ja der Geliebte;
Folg' d'rum nicht des Windes Lauf!3

Farblos ist die Rosenwiese,
Weilst du, Schenke, nicht auf ihr;

Setz' den Buchsbaum4 in Bewegung,
Du, der Fluren schönste Zier!

Keine Rose dieses Gartens
Wahret stets den frischen Saft:

D'rum erbarme dich der Schwachen
In der Zeit der vollen Kraft!

Bluten macht der blaue Himmel
Mir das Herz; d'rum bringe Wein!

Schnell gelöst im blauen Glase
Wird dies schwere Räthsel sein.

Nun der Trennung Nacht entschwunden,
Bricht, Hafis, der Morgen an;

Deine Wonne sei gesegnet,
Du verliebter, toller Mann!
 

1 D.h. (wie an so vielen ähnlichen Stellen) durch die Schmerzen, die ich um dich leide.

2 D.i. In den kettengleichen Haaren des Geliebten.

3 D.h. Handle nicht in den Wind hinein, überlege was du beginnen sollst.

4 D.i. Deine schlanke Gestalt.

 

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