Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

27.

Was wär's, wenn jenes Freundes Herz
Geneigt zur Liebe wär'?

Ich wär' in dieser Lage nicht,
Wär' erst in jener er;

Und höbe des Geschickes Gunst
Mich noch so hoch empor,

Wär' immer doch mein Ehrenthron
Der Staub an jenem Thor;

Und wie geschätzt Sein Fussstaub sei
Erschien' im hellsten Licht,

Gebräche es an Ewigkeit
Dem theuren Leben nicht;1

Und was des Freundes Lockenduft
Wohl gelte, sagt' ich klar,

Hätt' ich der Seelen Tausende
An einem jeden Haar.

 Herr! Wär' der Freibrief meines Glück's
Wohl weniger geehrt,

Wär' mit dem Zeichen2 er verseh'n
Das jedem Unglück wehrt?

O trät' Er aus dem Vorhang3 doch
Hervor, gleich Thränen klar,

Und flösse dann Sein Machtbefehl
Auf meiner Augen Paar!

Verschlösse nicht der Liebe Kreis
Die Strasse zum Entflieh'n,

So stände nicht Hafis, entherzt,
Als Mittelpunkt darin.
 

1 D.h. Ein ewiges Leben wäre nicht zu kostbar für des Freundes Fussstaub.

2 Das Zeichen, Nischan, ist gleichbedeutend mit dem in der 1. Anmerkung zum 25. Ghasel aus dem Buchstaben Je erklärten Thugra.

3 D.i. Aus der Verborgenheit, Zurückgezogenheit. - Das Wort das Vorhang heisst, nämlich Perde, heisst auch das Häutchen des Auges, in Bezug auf die folgende Thräne gewählt.

 

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