Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

31.

Wohl lebt in allen Maghentempeln1
Kein einz'ger toller Mann, gleich mir,

Denn für den Wein hab' ich verpfändet
Die Kutte dort, die Bücher hier.

Mein Herz - der Spiegel eines König's -
Ist wie mit dichtem Staub bestreut:2

Gott sende mir den Umgang dessen
Der heller Einsicht sich erfreut!

Es flossen meines Auges Bäche
Hinab auf meines Kleides Saum,

In Hoffnung, dass vielleicht man pflanze
An's Ufer einen hohen Baum.3

O bringe mir das Schiff des Weines:4
Wenn ich den Freund nicht schauen kann,

Wird jeder Winkel meines Auges
Aus Herzensgram zum Ocean.

Dem Götzen, der da Wein verkaufet,
Gelobt' ich es, ich sei bereit

Nie Wein zu trinken fern von Jenem
Der dem Gelage Schmuck verleiht.

Es gibt wohl nur der Kerze Zunge
Was Liebe sei gar sinnig kund:

Dem armen Falter schliesst dagegen
Die rücksichtsvolle Scheu den Mund.

Mit mir, der ich die Mädchen liebe,
Sprich ja von etwas And'rem nie,

Denn ich bekümm're mich um Niemand
Als um das Weinglas nur und sie.

Wenn die Narcisse prahlt, sie äugle
So hold wie du, so zürne nicht:

Denn einem Blinden folgt ja nimmer
Wer da besitzt sein Augenlicht.

Wie lieblich tönten mir die Worte
Die bei der Pauk' und Flöte Klang,

Am Thore einer Schenke weilend,
Ein Christ am frühen Morgen sang:

»Nennt man des Muselmanes Glauben
Das was Hafis beständig übt,

Dann wehe, wenn es nach dem Heute
Ein Morgen der Vergeltung gibt!«
 

1 D.i. In allen Schenken. Dieselben werden so genannt, weil darin das Verbot des Weintrinkens nicht geachtet wird.

2 D.h. Mein Herz, das ein Spiegel ist, in welchen Gott, der allmächtige König sieht, ist von Sünden bedeckt, wie ein Spiegel, der von Staub bestreut ist.

3 D.h. Ich weinte viel in sehnsuchtsvoller Hoffnung, meinen schlanken Geliebten dadurch erscheinen zu sehen. Die Thränen werden Bächen, der Geliebte wird einem hohen Baume, d.i. einer Cypresse verglichen, wie deren gewöhnlich an das Ufer eines Baches gepflanzt werden. Da Kjenar, Ufer, aber auch Umarmung heisst, so kann diese Stelle auch bedeuten: In Hoffnung, dass man mir einen Hohen, Schlanken (den Geliebten) zu umarmen gebe.

4 D.h. Das nachenförmige Weingefäss.

 

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