Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

40.

Seit sich Suleïma1 nach Irak begeben

Liess Lust nach ihr mich manches Leid erleben.

Der du die Sänfte meiner Freundin leitest,

Wie gern bestieg' das Thier ich, das du reitest!

Der Freundin fern, quillt Blut mir aus dem Herzen;

O Fluch den Tagen bitt'rer Trennungsschmerzen!

Lass' den Verstand im Sinderud2 begraben,

Und trinke Wein bei'm Sang irak'scher Knaben!

Du Sänger, dessen Lied und Wort wir preisen,

Sing' pers'sche Verse zu irak'schen Weisen!3

Es heisst der Jugend wieder mich gedenken

Der Harfenton, der Tactschlag holder Schenken.

Reich' mir den Rest vom Wein; den Rest vom Leben

Will ich, berauscht und froh, den Freunden geben.

Komm, gib den schweren Becher mir, o Schenke,

Damit dich Gott aus voller Schale tränke!

Vereint mit Jenen die dir sind ergeben,

Erkenn' und nütze das vereinte Streben!4

Mir grünt des Lebens Lenz auf deinen Weiden:

Gott schütze dich, du Zeit der Liebesfreuden!

Nie nützte ich die Stunde der Genüsse,

Wofür ich nun im Quell der Trennung büsse.

Du Rebentochter bist zwar schön zu nennen,

Doch muss man sich von dir zuweilen trennen.

Messias nur mit seiner freien Seele

Verdient, dass er der Sonne sich vermähle.5

Der Jungfrau Gunst muss ich, der Greis, entsagen:

Umarmung nur und Küsse darf ich wagen.

Verschmäh' sie nimmer, die dir folgt, die Zähre:

Denn kleine Bäche bilden grosse Meere.

Von Freunden trennt das Los mich immer wieder:

So singe denn, Hafis, irak'sche Lieder!6
 

1 Suleima ist ein und derselbe Name mit Selma, der vom Dichter früher besungenen Geliebten; nur ist dieser Name hier in die Verkleinerungsform gesetzt. - Dieses Ghasel ist grossen Theils arabisch.

2 Sinderud, ein Fluss bei Jspahan.

3 Die Irak'schen Tonweisen, deren Erfinder Scheich Ibrahim aus Irak ist, drücken Klage und Trauer aus.

4 Viribus unitis.

5 Messias oder Jesus wird, wie bereits früher erwähnt wurde, deshalb der Freie genannt, weil er frei blieb von aller Anhänglichkeit an irdische Dinge. Die Sage erzählt, dass, als er in den Himmel fuhr, er von allen Dingen dieser Welt nichts als eine Nadel mit sich nahm, um seine alten Gewänder damit zu flicken; doch dies allein genügte, dass er nicht, wie Mohammed, bis zum Himmelsthrone gelangen durfte, sondern im 4. Himmel, dessen Beherrscherin die Sonne ist, verweilen musste.

6 D.i. Traurige Lieder, wie sie der oben genannte Scheich Ibrahim aus Irak verfasste.

 

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