Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

62.

Schöner als der Gau der Schenke
Ist fürwahr kein Ort:

Fände doch mein greiser Scheitel
Ein Asyl einst dort!

Was mit Inbrunst ich verlange,
- Wesshalb bärg' ich's dir?

Ist ein Fläschchen Wein, ein Schöner,
Und ein Lustrevier.

Meine Heimath ist der Schenke
Frohes Vaterland,

Und mein Rai1 ein Rai der Götzen:
Hab' ich nicht Verstand?

Was behauptest du, im Tempel2
Sei kein Thor gleich mir?

Nur ein zweigesicht'ger Wüstling
Äussert so sich hier.

 Sei bescheiden, da nicht Jeder
Altklug sprechen kann:

Nur ein Rai ist es im Stande
Oder ein Brahman.3

Du nur füllest mir, o Götze,
Des Gemüthes Raum;

Du allein bist meine Sorge:
And'rer acht' ich kaum.

Habe Mitleid mit dem wüsten,
Leidenden Hafis,

Denn es folget ja ein Morgen
Auf das Heut' gewiss.
 

1 Rai oder Radscha ist der Titel indischer Fürsten und dasselbe Wort heisst auch Verstand.

2 Wörtlich: Was trinkst du (für einen Wein, der dich sagen macht) dass im Tempel usw. - Unter dem Tempel ist, wie schon erwähnt, die Schenke zu verstehen, worin von den Ungläubigen der Wein gleichsam angebetet wird.

3 Eine Anspielung auf das berühmte Königsbuch (Humajunname) oder die Fabeln des weisen Bidpai, worin abwechselnd ein Rai (indischer König) und ein Brahman (Bramin) sich allegorische Fabeln erzählen, die einen Schatz von Lebensweisheit enthalten.

 

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