Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Je

74.

Mache dir die Zeit zu Nutze
Nach dem Masse deiner Kraft,

Seele! Uns gehört vom Leben
Nur was der Moment errafft.

Mit dem Leben lässt der Himmel
Sich bezahlen was er gab:

Ford're sorglich stets dem Glücke
Den Tribut der Freuden ab.

Horch dem Rathe der Verliebten:
Tritt zum Freudenthor herein;

Alles Glück der eitlen Erde
Mag der Sorge werth nicht sein.

Schweige von der Lust des Zechers
Vor den Frömmlern; denn man spricht

Mit nicht eingeweihten Ärzten
Von geheimen Leiden nicht.

 Pflanz', o Gärtner - ich verbiet es -
Scheide ich dereinst von hier,

Keine andere Cypresse
Als den Freund an's Grabmal mir!

Nimmer weiss der Krugzerbrecher,
Dass der Ssofi eine Art

Von Granatrubinen heimlich
In dem Hause aufbewahrt.1

Und du geh'st und deine Wimper
Taucht ins Blut der Menschen sich!

Allzu rasch geh'st du, o Seele,
Du ermüdest, fürchte ich.

Lass, o Zuckermund, die Frommen
Für dich beten bei der Nacht:

Salomons geweihtes Siegel
Schützt ja eines Namens Macht.2

Vor dem Pfeile deiner Augen
Hütete mein Herz sich zwar,

 Doch der Schütze deiner Brauen
Droht durch Schlauheit3 ihm Gefahr.

Fort ist mein Geliebter Joseph:
Euer Mitleid fleh' ich an,

Brüder! da ich tief bekümmert
Sah den Greis von Canaan.

Einem Frömmler, der bereuet,4
Bringt die Weinlust sichern Tod:

Weiser, unterlass ein Handeln
Das dir mit der Reue droht!

Tritt herein zu meinem Thore,
Dass ich klatsche in die Hand,

Weil durch dich, mein Gast, in Wahrheit,
Sich ein Licht mit mir verband.5

Sollst Hafisen, den Zerstreuten,
Sammeln6 durch ein holdes Wort:

Sind doch deine Lockenringe
Der Zerstreuten Sammelort.

 Schönes Bild und Herz von Marmor,
Nimmst du meiner dich nicht an,

Sage ich Assaf dem Zweiten,7
Was du mir schon angethan.
 

1 Der Krugzerbrecher ist der Vogt, der die Übertretung des Weinverbotes durch Zerbrechung der Weinkrüge straft, und unter den Granatrubinen ist der Wein verstanden.

2 D.h. Lass die Frommen Nachts für dich beten, da das Gebet aus ihrem Munde (der den Namen Gottes nennt) dich eben so schützen wird, wie auf dem Siegel Salomons eingegrabene göttliche Name dieses Siegel (und seinen Eigner) schützte, indem es ihm die verlorne Herrschaft über Genien und Menschen wieder verschaffte.

3 Das hier durch Schlauheit übersetzte Wort Pischani heisst überdies noch die Stirn, und ist vom Dichter bezugsweise auf die Brauen gewählt.

4 D.h. Der es bereuet, dem Wein entsagt zu haben.

5 D.h. Ich klatsche vor Freuden in die Hand, wenn du kommst, weil mir durch dich, meinen Gast, ein Licht aufging, mein Gemach erhellt ward. Dabei ist auf die orientalische Sitte angespielt, dem Diener zu klatschen, statt wie bei uns zu klingeln, wenn der Herr seiner bedarf, und namentlich wenn er Abends Licht ins Gemach bringen soll. Freilich geht das Klatschen um Licht dem Lichte voraus; hier aber ist das Gegentheil der Fall.

6 Der Zerstreute heisst der Unglückliche, Trostlose; sammeln heisst beglücken, trösten.

7 D.i. Dem Grossvesir, der ein zweiter Assaf an Weisheit ist.

 

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