Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Mukathaat

22.

Eine Botschaft, also lautend,
Sandte gestern mir ein Freund:

»Du, aus dessen Rohr ein Tropfen
Mir das Schwarz des Auges scheint!1

Da das Schicksal nach zwei Jahren
Wieder dich gebracht nach Haus,

Warum kömmst du aus dem Hause
Deines Meisters nicht heraus?«2

Ich entgegnete und sagte:
»Halte für entschuldigt mich:

Nicht aus Eigensinn und Dünkel
Wandle diese Strasse ich:

Heimlich ist auf meinem Wege
Stets ein Scherge aufgestellt,

Der in Händen eine Klagschrift,
Einer Natter ähnlich, hält,

 So dass, wenn des Meisters Schwelle
Überschreiten will mein Fuss,

Er mich packt und ich dann schmählich
In den Kerker wandern muss.

Doch mir ist des Meisters Wohnung
Eine Burg, ein Zufluchtsort:

Athmete nur irgend Jemand
Von des Richters Leuten dort,

Steht der kräft'ge Arm der Diener
Des Vesir's mir hülfreich bei,

Und mit Einem Schlage spalte
Ich den Schädel ihm entzwei.

Doch, wie kann ich also sprechen,
Da durch Kief mit Nun vereint,

Nur die Ehre ihm zu dienen
Als mein wahrer Grund erscheint?3

Offen sei sein Thor dem Glücke,
Und der Himmel von Azur

 Schmücke mit der Sonne Gürtel
Sich zu seinem Dienste nur!«
 

1 D.h. Du, aus dessen Schreibrohr das geringste Wörtchen mir so theuer ist wie der Augenstern.

2 Nachdem Hafis zwei Jahre fern von Schiras gelebt hatte, kam er zurück und hielt sich da längere Zeit, völlig unsichtbar für seine Freunde, im Hause seines Gönners, des Vesirs Kawameddin Hassan, auf. Seine Freunde mochten geglaubt haben, es geschehe dies aus Furcht vor seinen Gläubigern, während er seine Anhänglichkeit an den Vesir als die eigentliche Ursache angibt.

3 Die Verbindung der zwei Buchstaben Kief und Nun gibt das Wörtchen Kiün, d.i. das Schöpfungswort "Werde!" in welchen das Loos aller Menschen enthalten ist. Der Sinn dieser Stelle ist also: Da, durch den Beschluss des ewigen Looses, des Schöpfungswortes: "Werde!" ich zu der Ehre, dem gedachten Vesire zu dienen, bestimmt bin, so ist dieses, und nicht die Furcht vor den Leuten des Richters die wahre Ursache, warum ich das Haus meines Gönners nicht verlasse. - Hafis will hier auf eine feine Art den Vesir bestimmen, seine Schulden zu zahlen.

 

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