Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Elif

6.

Aus der Hand droht mir das Herz zu schlüpfen:
Herzensmänner, helft mir Gott zu Lieb',

Denn sonst wird, o Jammer, ruchbar werden,
Was noch immer ein Geheimniss blieb!

Auf die Sandbank ist mein Schiff gestossen:
Günst'ger Wind, beginne denn zu weh'n,

Denn vielleicht wird mir die Freude werden,
Jenen wohlbekannten Freund zu seh'n.

Nur zehn Tage1 währt die Gunst des Himmels,
Ist ein Mährchen, eine eitle List:

Freund, um Freunden Gutes zu erweisen,
Nütze sorglich die so kurze Frist!

Gestern Nachts, umringt von Wein und Rosen,
Sang der Sprosser gar so schön und wahr:

»Bringe schnell den Morgenwein und halte
Dich bereit, o trunk'ne Zecherschaar!«

Alexander's wunderbarer Spiegel
Ist das Glas, gefüllt mit Wein, und traun!

Was in Dara's Reiche sich begeben,
Kannst du klar und deutlich in ihm schau'n.2

Edler Mann!3 Erkund'ge dich, zum Danke,
Dass des Himmels Segen dich beglückt,

Einmal nur in deinem ganzen Leben
Nach dem Armen, den der Mangel drückt!

Was die Ruhe beider Welten gründet,
Wird durch diese beiden Worte klar:

»Gütig sei mit Freunden dein Benehmen,
Doch die Feinde täusche immerdar!«

Nach dem Dorf des guten Rufes ging ich,
Doch man wies von dannen mich zurück;

Sollte dieser Umstand dir missfallen,
Nun wohlan, so änd're das Geschick!4

Jenen bitt'ren Saft, den einst der Ssofi
Aller Laster Mutter hat genannt,5

Hab' ich stets für lieblicher und süsser
Als der Jungfrau holden Kuss erkannt.

In den Tagen der Bedrängniss strebe
Du nach Lebenslust und Trunkenheit.

Denn durch diese Alchimie des Lebens
Wird der Bettler zum Karun6 geweiht.

Sollst nicht störrig sein, denn sonst verbrennet
Dich im Eifer, einer Kerze gleich,

Der Geliebte, dessen Hand den Kiesel,
Gleich dem Wachse, schmiegsam macht und weich.

Neues Leben spenden uns die Schönen,
Wenn da persisch spricht ihr holder Mund;

Schenke, mache diese frohe Botschaft
Allen alten frommen Priestern kund!

Nein, Hafis zog nicht mit freiem Willen
Diese Kutte an, befleckt mit Wein;7

D'rum, o Scheïch mit unbeflecktem Saume,
Lass mir deine Nachsicht angedeih'n!
 

1 D.h. Nur kurze Zeit.

2 Alexander's wunderbarer Spiegel, eines der sieben Reichskleinode der voradamitischen Salomone, ein Talisman, um dessen Besitz die alten Könige Persiens die Züge in's Gebirge Kaf unternahmen und so manches Abenteuer mit Diwen bestanden, zeigte seinem Besitzer alles Verborgene des Himmels und der Erde, so wie alle Anschläge seines Gegners Dara (Darius), die er demnach zu vereiteln im Stande war. Ressam, ein Maler in Dienste Schah Behramgur's, soll der Künstler gewesen sein, der diesen Wunderspiegel verfertigte. - Die Perser eignen sich Alexander den Grossen dadurch an, dass sie die macedonische Königstochter ihrem eigenen Fürsten vermählt und von ihm verstossen werden lassen. Die Frucht der Brautnacht war der macedonische Heldenjüngling, der also auf Persien ein Recht hatte und es in Besitz nahm. Wahrscheinlich ist aber unter diesem Alexander, der den Beinamen des Zweihörnigen, d.i. des Kräftigen führt, nicht der macedonische, sondern ein der alten dunkeln Geschichte Jemens oder Ägyptens angehöriger Monarch zu verstehen. Vergl. Zeitschr. d. deutsch. morg. Ges. Bd. VIII. 835. IX. 214.307.780.

3 Hafis meint hier den bereits erwähnten Wesir Kawameddin Hassan.

4 D.h. Das Geschick hat mich von aller Ewigkeit zu üblem Nachrufe bestimmt; daher ich mich eben so vergebens dagegen sträube, als du mich vergebens darüber tadelst.

5 Unter dem Ssofi versteht Hafis hier den Propheten, der jenen bitteren, herben Saft, d.i. den Wein, die Mutter aller Laster nannte.

6 Karun scheint der reiche und übermüthige Kores der heiligen Schrift zu sein. Die Muhammedaner gaben einem Israeliten, der mit Moses aus Ägypten zog, und dessen Reichthum und Trotz auf die vergänglichen Güter dieser Welt bei ihnen sprichwörtlich geworden war, diesen Namen. Die Geschichte Karun's, der ein Verwandter des Moses war und dessen Name auf hebräisch Karudsch lautet, findet sich in der 28. Sure des Korans. Er wurde zur Strafe seines Übermuths auf das Gebet des Moses von der Erde verschlungen. Von ihm trägt der See Birkietul-Karun nahe an den Pyramiden seinen Namen.

7 D.h. Hafis ward von aller Ewigkeit vom Schicksale zum Zecher bestimmt; es ist also nicht seine Schuld, dass er den Wein liebt.


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