Heilige Liebesspur

Worte von Heiligen, Mystikern und anderen Hellhörigen
(vom 3. Mai 2010)

(c) Günter Havlena - Pixelio.de




Angela von Foligno
(1248-1309)



Wie man erkennen und Gewißheit haben kann
von der Einkehr Gottes in die Seele

 

Eine andere Weise, wie die Seele erkennt, daß der allmächtige Gott in ihr wohnet, ist eine Umarmung der Seele von Seiten Gottes; denn weder Vater noch Mutter kann je ihren Sohn, noch jemand anders eine andere Person mit so großer Liebe umarmen, wie der allmächtige Gott die vernünftige Seele umarmt. Denn unser Herr Jesus Christus umschlingt und zieht die vernünftige Seele an sich mit so großer, unaussprechlicher Liebe, mit solcher Süßigkeit und Wonne, daß ich glaube, kein Mensch auf der ganzen Welt könne es sagen, ausdrücken oder nur glauben, wenn er es auch erfahren, und sollte auch jemand etwas davon glauben können, so vermag er es doch nicht vollkommen. Denn Jesus Christus bringt der Seele die süßeste Liebe, von welcher sie in Christo ganz erglüht; und er bringt ihr eine so große Erleuchtung, daß sie eine solche Fülle der Güte des allmächtigen Gottes, die er an ihr bewährt, erkennt, daß sie weit mehr davon erkennt, als sie in sich erfährt; und dann hat sie die Versicherung und Gewißheit, daß Jesus Christus in ihr wohne. Was ich aber von allem diesem sage, ist im Vergleich zu dem, was es wirklich ist, gar nichts. Dann aber hat die Seele keine Thränen mehr, weder der Freude noch des Schmerzes, noch irgend einer andern Art oder eines andern Zustandes; denn es ist ein weit niedrigerer Stand, in welchem die Seele Freudenthränen hat. Desgleichen bringt Gott bei seiner Einkehr in die Seele ein solches Übermaß der Wonne mir, daß sie nichts mehr zu wünschen vermag, ja sie würde, wofern es andauernd wäre, den Himmel auf Erden haben. Und diese Wonne ergießt sich und überströmt alle Glieder des Leibes, und alle angethanene Unbilde und Schmach wird für nichts geachtet und in Süßigkeit verwandelt. Und um dieser körperlichen Veränderung willen konnte ich es bisweilen meiner Gefährtin und andern nicht verbergen; denn ich wurde bisweilen, wie meine Gefährtin mir sagte, glänzend und ganz roth, und meine Augen leuchteten, wie Lichter, oder ich ward bleich, als wäre ich gestorben, je nach der Verschiedenheit der Gesichte und Offenbarungen. Diese Wonne aber ließ nicht ab viele Tage lang, und einen Theil derselben habe ich noch und glaube, daß ich sie ewig nicht verliere, sondern daß sie (im ewigen Leben) immer mehr erfüllt und vervollkommt wird. Kommt daher irgend eine Traurigkeit über mich, so erinnere ich mich alsbald jener Wonne und werde in keiner Weise verwirrt. Es giebt aber noch so viele andere Weisen, zu erkennen, daß Gott Einkehr in die Seele genommen, daß ich sie nicht sagen und beschreiben kann.
 

 

Text aus: Mystische und ascetische Bibliothek
oder Sammlung der Hauptwerke der Mystiker und Asceten
vorzüglich des Mittelalters
Der heil. Angela von Foligno Gesichte und Unterweisungen
In deutscher Bearbeitung herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von J. H. Lammertz [Johann Heinrich Lammertz 1804-1883]
Köln, Bonn und Brüssel 1851
(S. 197-199)

 

Bild: (c) Günter Havlena - Pixelio.de





 

 


 

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