Heilige Liebesspur

Worte von Heiligen, Mystikern und anderen Hellhörigen
(vom 6. Mai 2010)

(c) Günter Havlena - Pixelio.de




Katharina von Genua
(1447-1510)




Die Seele fragt Gott um die Ursache
seiner so großen Liebe zu den Menschen
 

Der Herr: (...) Wer den Glauben nicht verloren hätte und die Wirkungen sehen wollte, die Gott in den Menschen vermöge jenes Funkens der Liebe, den er in verborgener Weise in ihr Herz gießt, hervorbringt, der würde ganz gewiß so sehr von Liebe entflammt, daß er nicht länger leben könnte. Die Heftigkeit der Liebe würde ihn in das Nichts auflösen. Allein obwohl das der Mensch niemals begreift, so siehst du dennoch, wie in Folge dieser unbegriffenen Liebe die Menschen verlassen die Welt, die Habschaft, die Freude, die Verwandten, und alles Übrige, was ihnen theuer ist, und wie ihnen alle Freudengenüsse zuwider sind. Vermöge dieser Liebe verkauft sich der Mensch als Sklaven und bleibt Andern unterworfen bis zum Tode. Und so sehr nimmt diese Liebe zu, daß er tausend Martern zu übernehmen bereitet ist, wie dieß die Erfahrung zu allen Zeiten gezeigt und noch immer zeigt.
Du siehst, daß diese Liebe aus Thieren Menschen, aus Menschen Engel, aus Engeln gleichsam Gott vermöge Mittheilung macht. Du siehst die Menschen in Allem sich ändern, aus irdischen Wesen himmlische werden und mit Seele und Leib in geistlichen Dingen sich üben. Du siehst sie ändern ihre Reden und ihr Leben, und das Gegentheil von dem reden und thun, was sie vorher zu reden und zu thun pflegten. Jedermann wundert sich darob und däucht ihm eine vortreffliche Sache. Man beneidet sie, obwohl das Werk selber Niemand versteht, als der es in sich selbst erfährt. Diese innige, eindringende und süße Liebe, die der Mensch in seinem Herzen fühlt, läßt sich nicht erkennen, schildern und verstehen, als aus der Einsicht, die der Gemüthsaffect gewährt, in welchem der Mensch sich eingenommen, gebunden, umgestaltet, zufrieden, ruhig und in den leiblichen Empfindungen wohlgeordnet und ohne Widersetzlichkeit fühlt, so daß er Nichts besitzt, Nichts will und Nichts verlangt. Er bleibt ruhig und befriedigt im Innersten seines Herzens, und kennt nichts Anderes mehr. Er bleibt durch einen sehr feinen Faden auf's Engste verbunden (mit Gott) und wird in verborgener Weise von der Hand Gottes festgehalten, während er mit der Welt, mit den Teufeln und mit sich selber kämpft und streitet. Er erkennt sich zwar als sehr schwach, und fürchtet, weil er sich von keiner Seite helfen kann, überall zu unterliegen; allein Gott läßt ihn nicht fallen.
Dieses ist jedoch noch nicht jene wahre (vollkommene) Liebe, welche du, o Seele, zu kennen wünschest; sie ist es noch nicht. Dieselbe ist erst dann vorhanden, wenn ich die Unvollkommenheiten des Menschen durch jene Mittel und Wege, die sich mit der menschlichen Armseligkeit vertragen, sowohl im Äußern als Innern weggeräumt und vertilgt habe. Das Übrige alsdann, was man nicht sieht, betreffend, so verfahre ich in folgender Weise: Ich steige nämlich mit einem sehr feinen Goldfaden, welches meine verborgene Liebe ist, hernieder. An diesen Faden ist eine Angel gebunden, welche das Herz des Menschen häckelt. Er fühlt sich dann verwundet, ohne zu wissen, von wem er gefangen und gebunden sei. Er kann sich nicht bewegen; denn sein Herz wird von mir, dem Gegenstande und Endziel (all seines Strebens) gezogen, ohne daß er es begreift. Ich halte den Faden in der Hand und ziehe den Menschen immer an mich durch eine so zarte und eindringende Liebe, daß er sich überwunden gibt und ganz außer sich kömmt.
Gleichwie ein Aufgehängter, der mit den Füßen die Erde nicht berührt, in der Luft an dem Seile hängt, durch welches er dem Tode anheimgefallen, so hängt der Geist an jenem feinen Liebesfaden, durch welchen alle verborgenen, feinen und unerkannten Unvollkommenheiten des Menschen sterben; und Alles, was er dann liebt, liebt er mit der Liebe jenes Fadens, von dem er sich gebunden fühlt. So wird auch alles Übrige, was er thut und wirkt, mit jener Liebe gethan, gethan durch die Gnade, die man gratum faciens heißt; denn Gott ist es, der mit seiner reinen Liebe wirkt, ohne daß der Mensch sich einmenge. Nachdem Gott die Sorge für diesen Menschen auf sich genommen und ihn ganz an sich gezogen hat, so wirkt dieses Mittel (in ihm) und bereichert ihn mit seinen Gütern in solcher Zunahme, daß er bei seinem Tode durch diesen Liebesfaden in den Abgrund der Gottheit gezogen und in sich vernichtet wird, ohne es zu wissen. Und obwohl der Mensch in diesem Zustande als eine todte, verlorne und verächtliche Sache erscheint, so findet er doch sein Leben als ein in Gott verborgenes, in welchem alle Schätze und alle Reichthümer des ewigen Lebens sind. Niemand vermag es auszusprechen, ja nur zu denken, was Gott dieser seiner geliebten Seele zubereitet hat.

 

Text aus: Leben und Schriften der heiligen
Katharina von Genua Deutsch bearbeitet von Peter Lechner [1805-1874]
Regensburg Druck und Verlag von Joseph Manz 1859 (S. 327-329)

 

Bild: (c) Günter Havlena - Pixelio.de





 


 

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