Diotima!

Komm und besänftige mir das Chaos der Zeit ...


Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Ausgewählte Gedichte


 




Die Größe der Seele





Auf dem Gebirge steh ich , und schau umher,
Wie alles auflebt, alles empor sich dehnt,
Und Hain und Flur, und Tal, und Hügel
Jauchzt im erwärmenden Frühlingsstrahle.

O diese Nacht - da bebtet ihr, Schöpfungen!
Da weckten nahe Donner die Schlummernde,
Da schreckten im Gefilde grause
Zackichte Blitze die stille Schatten.

Und jetzt - und jetzt - so sah ich das Land noch nie -
O weg mit aller Könige Herrlichkeit! -
Da ist so sichtbar Gottes Tempel;
Gottes geheiligter, liebester Tempel - -

Denn - o ihr Himmel! Adams Geschlechte sind's,
Die diese Erd im niedrigen Schoße trägt -
O betet an, Geschlechte Adams!
Jauchzet mit Engeln, Geschlechte Adams!

O ihr seid schön, ihr herrliche Schöpfungen!
Geschmückt mit Perlen blitzet das Blumenfeld;
Doch schöner ist des Menschen Seele,
Wenn sie von euch sich zu Gott erhebet.

Oh, dich zu denken, die du aus Gottes Hand
Erhaben über tausend Geschöpfe gingst,
In deiner Klarheit dich zu denken,
Wenn du zu Gott dich erhebst, o Seele!

Ha! diese Eiche - strecket die stolze nicht
Ihr Haupt empor, als stünde sie ewig so?
Und nahet nicht Jehovas Donner,
Niederzuschmettern den hehren Wipfel?

Ha! diese Felsen - blicken die stolze nicht
Hinab ins Tal, als blieben sie ewig so?
Jahrhunderte - und an der Stelle
Malmet der Wandrer zu Staub das Sandkorn.

Und meine Seele - wo ist dein Stachel, Tod?
Oh, ewig ist, die diesen Gedanken denkt,
Oh, sie ist ewig und empfind in
Himmelsentzückungen ihre Größe.

Mit grausem Zischen brauset der Sturm daher,
Ich komme, spricht er, und das Gehölze kracht
Und Türme wanken, Städte sinken,
Länder zerschmettern sich, wenn ich komme.

Doch - wandelt nicht in Schweigen der Winde Dräun?
Macht nicht ein Tag die brausende atemlos?
Ein Tag, ein Tag, an dem ein andrer
Sturm der Verwesten Gebeine sammelt.

Dann jauchz ich wieder. wo ist dein Stachel, Tod?
Ja, ewig, ewig jauchz ich Erweckter dann,
Ist meine Seele, und empfind in
Himmelsentzückungen meine Größe.

Zum Himmel schäumt und woget der Ozean
In seinem Grimm, der Sonnen und Monde Heer
In seinem Grimm aus ihren Höhen
Niederzureißen in seine Tiefen.

Was bist du, Erde? hadert der Ozean,
Was bist du? streck ich nicht, wie die Fittiche
Aufs Reh der Adler, meine Arme
Königlich über dich aus? - Was bist du,

Wenn nicht zur Sonne segnend mein Hauch sich hebt,
Zu tränken dich mit Regen und Morgentau?
Und wann er sich erhebt, zu nahn in
Mitternachtswolken, zu nahn mit Donnern,

Ha! bebst du nicht, Gebrechliche? bebst du nicht? -
Doch, sieh, vor jenem Tage verkriechet sich
Das Meer, und seiner Wogen keine
Tönt in die Jubel der Auferstehung.

Wie herrlich, Sonne! wandelst du nicht daher!
Dein Kommen und dein Scheiden ist Widerschein
Vom Thron des Ewigen; wie göttlich
Blinket dein Schimmer ins Auge der Völker.

Der Wilde gafft mit Staunen der Freude dich,
Dich, Strahlende, mit zitternden Wimpern an,
Blickt wieder nieder, schauet schüchtern
Noch einmal auf - und gerührt und ernstvoll

Beugt er die Knie, senkt zur Erde jetzt
Sein Haupt, und schauet schüchterner noch einmal
Zur dir, o Strahlenheldin, auf und
Nennet dich Gott, und erbaut dir Tempel.

Und doch, o Sonne! endet dereinst dein Lauf,
Verlischt an jenem Tage dein hehres Licht.
Doch wirbelst du an jenem Tage
Rauchend die Himmel hindurch, und schmetterst.

O du Gedanke meiner Unsterblichkeit!
Laß mich's vollenden! Halte mich! halte mich!
Daß ich nicht sinke, in dem Graun der
Großen Vernichtungen nicht versinke.

Wenn dies geschehen wird - fühle dich jetzt, o Mensch!
Dann kannst du jauchzen: Wo ist dein Stachel, Tod?
Dann ewig ist sie - o durchströmt mich,
Wonnen des Himmels! des Menschen Seele.

O Seele! Seele! Funke des Ewigen!
Du bist so herrlich, wann du von Erdentand
Und Menschendruck entlediget in
Großen Momenten zu deinem Urstoff

Empor dich schwingst. Wie Schimmer Eloas Haupt
Umschwebt der Umkreis deiner Gedanken dich,
Wie Edens goldne Ströme reihen
Deine Betrachtungen sich zusammen.

Und oh! wie wird's einst werden, wann Erdentand
Und Menschendruck auf ewig verschwunden ist,
Wann ich am Throne meines Gottes
Bin, und die Klarheit des Höchsten schaue.

Und weg ihr Zweifel! quälendes Seelengift!
Hinweg! der Seele Jubel ist Ewigkeit! -
Und ist er's nicht, so mag noch heute
Tod und Verderben des Lebens Schranken

Zu Grunde trümmern, Tausende so zum Scherz
Der Wütrich würgen - würgt er sein Wild auch -
Und würgt er schnell, so dankt's ihm, Menschen!
Daß der gewissen Vernichtung Grauen

Nicht Jahre lang euch töten; so mag der Sohn
In seinem Elend Vater- und Mutterherz
Durchbohren, mag ums Brot die Armut
Morden und sengen, mag das Mitleid

Zu Tigern fliehn, zu Schlangen Gerechtigkeit,
Und Kannibalenrache des Kindes Brust
Entflammen, und Banditentrug im
Himmelsgewande der Tugend wohnen.

Doch nein! der Seele Jubel ist Ewigkeit!
Mein Gott verheißt's, ihr Jubel ist Ewigkeit!
Ich glaube meinem Gott und schau in
Himmelsentzückungen meine Größe.


Jehova ist ein Name, von Ewigkeit
Zu Ewigkeit die Herrschaft des Königes.
Vernichtung trifft die Seele nicht, dann
Ewig ost, ewig des Königs Herrschaft.

So jauchzt ihn nach, ihr Menschengeschlechte! nach,
Myriaden Seelen singet den Jubel nach -
Ich glaube meinem Gott, und schau in
Himmelsentzückungen meine Größe.

Aus: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe
Erster Band. Carl Hanser Verlag München 1981 (3. Auflage) (S. 33-37)

 

 

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