Ella Hruschka (1851-1912) - Liebesgedichte

 



Ella Hruschka
(1851-1912)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Im goldenen Licht

Zuweilen wirft die Sonne selt'ne Strahlen,
Daß fremder Glanz auf allen Dingen ruht:
Vergoldet sind des ärmsten Schiffleins Masten,
Und eine güld'ne Fracht sind seine Lasten,
Ein Strom von Gold ist die bewegte Flut.

Und manchmal bricht ein Schein aus meiner Seele,
Der solchen Glanz um alle Dinge spinnt -
Geheimnisvolle Kräfte leise weben
Ein Goldgespinst um jegliches Erleben:
Im goldnen Licht des Lebens Welle rinnt.
(S. 3)
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Sehnsucht

Des hohen Kreuzgangs Bogen
Durchflutet Mondenschein,
Auf lauer Lüfte Wogen
Weht Frühlingsduft herein.

Ein junger Klosterbruder
Am Marmorsimse ruht,
Vom Rhein her tönt ein Ruder
Sanft plätschernd in der Flut.

In Silberlicht gebadet
Ist rings das weite Tal -
Zu strenger Andacht ladet
Der Brüder Bußchoral.

Ihm ist, als hört' er klingen
Der Lureley Zauberlied,
Das auf der Sehnsucht Schwingen
Sein Herz ins Weite zieht.
(S. 4)
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Die Marmorbraut

Wie neid' ich deiner Hand das warme Beben,
Wenn eisigkalt die meine in ihr ruht,
Wie möcht' ich meinen Frieden gerne geben,
Um diese heiße, hoffnungslose Glut!

Dein Schifflein drohen Stürme zu zerschellen,
Ich harre träge in des Hafens Ruh,
O, triebe ich dahin auf hohen Wellen,
Und wär' ich lieber elend so wie du!

Nicht du in deiner Qual bist von uns beiden
Der ärmere; du fühlst und ich bin Stein,
Ach, nicht zu lieben ist ein schwerer Leiden,
Als zärtlich liebend ungeliebt zu sein.

Was tut's, daß deiner Hoffnung Blüten schwinden
Und daß dein Traumglück vor dem Tag zerstiebt!
Du hast erlebt dein göttliches Empfinden,
Du Glücklicher, du hast geliebt.
(S. 6)
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Um dich mehr zu lieben

Ich muß dir weh tun, um dich mehr zu lieben.
Wenn dir das Leid ins Angesicht geschrieben,
Die Zeichen, die nur zu vertraut mir sind:
Dann überfließt mein Herz in raschem Tauen,
Durch Tränen nur kann ich ins Aug' dir schauen,
Du dünkst mich arm wie ein verwaistes Kind.

Ich möcht' die Arme schützend um dich breiten,
Liebkosend über deine Haare gleiten,
Mich überströmt der Wunsch, dir wohlzutun;
Und jeder meiner Blicke will dich bitten:
Vergib, vergib, was du durch mich gelitten!
Und eh du lächelst, kann ich nimmer ruhn.

Nur Eines bringt mich nahe deinem Wesen:
Das Mitleid; doch du pflegst rasch zu genesen
Von jedem Weh. Und Gleichmut, öder Scherz
Sind meiner Seele immer fremd geblieben.
Ich möcht' dir wehtun, um dich mehr zu lieben;
Nur deine Trauer schließt dir auf mein Herz.
(S. 7)
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Mondnacht

Die Nacht ist klar, der Bäume Blätter schimmern,
Des Mondes mattes Silber fiel darauf,
Im See hebt an ein Leuchten und ein Flimmern
Ein Funkelband erglänzt des Baches Laut.

Und um die Höh'n es weiße Schleier breitet
Und silbernes Gespinst auf Flur und Feld,
Und durch die Gärten schwebt es licht und gleitet,
Als tanzten Elfen unterm Blütenzelt.

Und in mir auch verbreitet sich die Helle,
Die Sorgen weichen vor des Lichtes Macht,
Und meine Seele glänzt gleich jener Welle
Von deinem Zauber, weiße Mondennacht.
(S. 15)
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Mit deinen Augen

Du schiedst schon längst und mich umfängt die Nacht,
Doch bin ich noch in deines Zaubers Bann -
Ich fühle deines Wesens süße Macht,
Noch rauschen um mich deines Geistes Schwingen,
Noch hör' ich deiner Stimme tiefes Klingen,
Die Nacht schaut mich mit deinen Augen an.

Mit deinem sehnsuchtheißen Sternenblick,
Der so magnetisch Tiefstes heben kann
Und eh' man's denkt, bereitet ein Geschick -
Dem meine Seele zufliegt feuertrunken,
Ein Falter, der ins Flammengrab gesunken:
Die Nacht schaut mich mit deinen Augen an.
(S. 16)
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Nächtliche Fahrt

Wir fuhren die schweigenden Wälder entlang
Vorbei an verschleierten Wiesen -
In Duft und dämmerndem Grau versank
Der Zug der versteinerten Riesen.

Wir lauschten hinein in die träumende Nacht -
Verstummt war das Lachen und Plaudern -
Und ließen das flinke Rößlein sacht
Auf duftendem Wege zaudern.

Hoch über uns in dem Äthermeer
Still wandelten große Sterne,
Es kam wie verhallendes Klingen her
Aus seliger Märchenferne.

Am Waldessaume mit leisem Huf
Sahn wir das Hochwild schreiten
Und eines Hirsches Sehnsuchtsruf
Ertönte in dunklen Weiten.
(S. 17)
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Mit dir

Sitz nieder! Laß das karge Mahl dir munden!
Natur ließ selber uns den Tisch bestellen.
Sieh', wie die Früchte uns entgegenschwellen,
Wie blank die Eier, frisch im Stroh gefunden!

Vom Durst und Müdigkeit laß uns gesunden,
Uns laben an dem Wein, dem goldig hellen!
Wie macht er neu die Lebensfreude quellen!
Wie schmeckt die Rast nach langem Wanderstunden!

Mit dir wird solche Mahlzeit mir zum Feste,
Laß uns das Haupt mit Weinlaub uns umschlingen
Wie eines stolzen Bacchanales Gäste!

Und nun stoß an! Bei hellem Gläserklingen
Wir wollen unterm Dache grüner Aeste
Ein jauchzend Evoë der Freude bringen!
(S. 18)
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Im Dunkel

Der See wallt atmend zum Strande,
Sonst Stille rings nah und fern
Und immer tiefer das Dunkeln,
Am drohenden Himmel kein Stern.

Ich geh am umnachteten Walde
Entlang den verödeten Strand,
Das Licht deiner Liebe im Herzen,
Als führtest du mich an der Hand.
(S. 19)
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Das Heim

Nun hab' ich dir das Heim bestellt,
O, zieh gesegnet ein,
Du meine und deine Welt,
So laß uns glücklich sein!

Den Dingen, die ich hier vereint,
Gibst du erst ihren Wert,
Und wo dein liebes Auge scheint,
Da ist mein trauter Herd.

Mit Blumen ziert' ich das Gestell -
Guck, wie die Nelken glühn,
Und laß uns walten, daß so hell
Auch unsere Herzen blühn!

O laß uns pflegen schön und rein
Den Garten in der Brust!
Er soll ein kleines Eden sein,
Dem anderen zur Lust.
(S. 20)
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Froher Ausblick

Laß die Augen fröhlich wandern!
Sieh, dies alles ist dein Eigen:
Dieses Meer von grünen Halmen,
Diese waldumzogenen Höhen,
Dieses weiten Himmels Schweigen.

Laß entflohn der dumpfen Tiefe
Uns auf freier Höhe schreiten,
Unser Auge trunken baden
In des Luftmeers tiefer Bläue
Und den maiengrünen Weiten!

Schau, wie dort zwei Lerchen steigen,
Horch, wie wonnevoll sie singen!
Also mögen unsre Seelen
Aus dem Bann der kargen Scholle
Singend sich zur Höhe schwingen.
(S. 21)
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Blätter im Walde

Die Buchen waren rotes Gold
Und Silberschleier wehten
Um blaue Höhn, als ich den Wald
Zum erstenmal betreten.

Du gingst voll Kraft zur Seite mir,
Von deinen Lippen sprühte
Auflodernd helle Lebenslust,
Die dir im Herzen glühte.

Nun sind die Buchen wieder grün,
Doch starrt auf allen Wegen
Das Laub von jenem goldnen Herbst
Mir schwarz und tot entgegen.

Und deine klare junge Stirn
Umdüstert tiefe Trauer
Und über deine Seele gehn
Des Siechtums Todesschauer.
(S. 22)
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Für Dich

Erst stand ich fassungslos vor deinem Trauern
Und mich bedrückte deines Unglücks Schwere,
Des Todes Nähe machte mich erschauern,
Mein Leben setzte bangend sich zur Wehre.

Nun hab' ich längst vergessen, mein zu achten,
Für dich nur schmilzt mein Herz in heißen Klagen -
Ich sinn' nur Eins, wenn Schatten dich umnachten:
Licht bringen und dein Leid dir helfen tragen.
(S. 23)
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An der Schwelle

Du lagst so still und todesbange da -
Des lieben Angesichtes feine Linien
Sah ich wie nie zuvor so klar und nah -
Matt dufteten im Glase die Glycinien
Und Regen rauschte in der Bäume Wipfel,
Verschleiernd des Gebirges stolze Gipfel.
Und meine Seele kam von weiten Flügen
Und rastete und trank in durstigen Zügen
Den sanften Reiz von deinen stillen Mienen,
Noch niemals warst du mir so schön erschienen.
Da brach ins Herz mir eine jähe Angst:
Mein Gott, so wird dich der vielleicht verklären,
Den du gern suchtest und vor dem du bangst
Und dessen Boten heimlich an dir zehren.

Ich sah dich ruhn auf deinem letzten Bette
Und also feierlich ward mir zu Mut,
Daß meiner eignen Stimme Klang mich schreckte,
Als etwas fremdes mich aus Träumen weckte
Von weltentrückten hehren Einsamkeiten,
Durch die der Abgeschiedenen Seelen gleiten,
Wie gern ich deine Stirn gestreichelt hätte!
Doch wallte noch zu ungestüm mein Blut,
Ich durfte nicht mit lebensdurstiger Glut
Entheiligen die hehre Weihestunde,
Da sich der Geist des Ewigen nahte dir
Und Worte zögerten auf deinem Munde,
Die sanft dich schieden von der Welt und - mir.

Was war ich dir, was konnt' ich dir noch sein!
Die Dämmerung senkte leise sich hernieder
Und hüllte dich in ihre Schleier ein:
Das liebe Angesicht, die edlen Glieder,
Das Lager, das dich trug - von Nacht verschlungen
Warst du nun ganz - - - - - - - - - - - -
- - - - - -  Ich starrte in das Dunkel -
Erloschen auch des Auges Glanzgefunkel,
Die arme, kranke Stimme auch verklungen,
Nur tiefes Schweigen - dunkler Öde Bangen,
Als ob für immer du dahingegangen -
Die Blumen atmeten so herben Duft,
Als welkten sie in einer Totengruft - -
Da packte mich verzweiflungsvolles Sehnen
Und heiß und leise flossen meine Tränen . . . . . .
(S. 24-25)
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Es war

Glück mußt' ich mit Leid bezahlen,
Doch es war des Preises wert.
Wenn dir ferne Sonnen strahlen,
Ist die Nacht so dunkel nicht,
Dich umzittert noch ein Licht,
Dessen Glut schon längst verzehrt.

Deine Augen füllen Tränen -
War das wirklich alles dein?
Friedlos wandert nun dein Sehnen -
Wohl, es war. Doch wie du bangst
Und nach dem Verlorenen langst,
Nimmer kann es wieder sein.
(S. 27)
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Trüber Himmel

Nun löse still des Bootes Kette!
Wir gleiten auf die Flut
Ganz leise, daß sie nicht erwache;
Denn sieh: Natur, sie ruht -
Wie Kinder nach dem Tränenregen
Zu schlafen pflegen.

Das Himmelsblau ist überflogen
Von grauer Wolken Flaum;
Noch eben ging der Regen nieder,
Noch hängt der Wellenschaum
Vom starkbewegten Wogengange
Im Ufertange.

Durch leichte, lichte Wolkenschleier
Der Sonne Antlitz späht
So bleichgehärmt zum See hernieder;
Ein mattes Leuchten geht
Die Flut entlang, ein fahler Flimmer,
Wie Mondesschimmer.

Der Buchenhag ist eingeschlummert,
Verstummt der Wellen Lied;
Es ist so still, ein einsam Vöglein
Nur kläglich ruft: tit - tit -
Der Büsche nasse Zweige neigen
Sich tief und schweigen.

So schweigt ein Herz nach inn'ren Stürmen,
Der Tränen Quell versiegt
Und über seinem Lebenskreise
Ein Dämmerschleier liegt.
Die Sehnsucht nur - der Fink im Hage -
Ruft nimmermüde ihre Klage.
(S. 30-31)
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Venezianische Mädchen

In der Calle del Ridotto
Ist es schattig, still und einsam.
Plaudernd sitzen junge Mädchen
Vor der Schwelle eines Hauses,
Und sie arbeiten gemeinsam.

Zwei von ihnen fassen Perlen,
Eine stickt, die vierte scheuert;
Zu der frohen Unterhaltung
Wird von jeder von den vieren
Eine Gabe beigesteuert.

Silberhell erklingt ihr Lachen
An dem abgeleg'nen Orte,
An die festverschloss'nen Fenster
Der verwitterten Paläste
Klopfen lebensprüh'nde Worte.

In dem Schutze der Madonna
Steh'n die übermütigen Mädchen,
Und für sie nur vor dem Hause
Sitzen sie kokett gekleidet,
Zieh'n sie Perlen auf das Fädchen.

In der Nische ob der Haustür
Thront mit Flitterstaat behangen
Die Madonna, ihr zu Füßen
Glüht ein Lämpchen und daneben
Duftend weiße Lilien prangen.

"'N soldo, Signor, per la Madonna!"
Ruft die schelmische Lucia,
Wenn ein Fremder schattensuchend
Schreitet durch das enge Gäßchen,
"Per fiori e bugia!"

Ihre Sonnenaugen leuchten,
Ihre frischen Lippen winken,
Königlich ist die Gebärde
Ihres halbentblößten Armes
Und die weißen Zähne blinken.

Gerne legt der müde Fremde
Seine Hand in ihre Rechte
Und bezahlt dafür den Soldo;
An dem Purpurkelch der Lippen
Gern auch er sich laben möchte.

Doch Lucia opfert täglich
Ihre Soldi vor dem Bilde,
Daß die gnädige Madonna
Ihr erhalte Beppos Liebe
Und nicht untreu sei der Wilde.
(S. 52-53)
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Auf dem Monte Pincio

Ich schaue in der Pinien dunkle Wipfel,
Die ihre Kronen stolz zum Himmel heben,
Und seh' den Vögeln nach, die über ihnen
Hinweg nach einer freien Höhe schweben.
Dort steht ein Haus mit offner Säulenhalle -
Und rosenrot ringsum die Blüten prangen -
Gleichwie ein Tempel still verborg'nen Glückes,
Wo nun die Frühlingsfeier wird begangen.

Und vor mir lehnt am steinernen Geländer
Ein junger Mönch mit schönen bleichen Zügen
Und dunkelglühnden Augen, die sich schwer nur
Des Ordens strenger Regel mögen fügen.
Am hellen Abendhimmel scharf gezogen
Sind seines Schattenrisses edle Linien,
Auch seine Blicke scheinen still zu wandern
Nach jenem weißen Hause ob den Pinien.

Von tiefem Anteil fühl ich mich ergriffen
Für dieses junge eingesargte Leben,
Für diese Gluten, die nicht nach des Himmels,
Nein, nach der Erde Seligkeiten streben,
Er fühlt den Blick, der innig auf ihm ruhte,
Und unwillkürlich muß das Haupt er wenden,
Ein flüchtig Rot färbt seine bleichen Wangen,
Und das Brevier entgleitet seinen Händen.

Im Baumgang nebenher die Wagen rollen,
In langen Reihen zieh'n sie auf und nieder,
Es leuchten helle, farbige Gewänder,
Und Liebesblicke fliegen hin und wieder.
Dort rauscht vorbei der reiche Strom des Lebens
Mit stolzer Kraft und übermütgem Schäumen,
Der Mönch und ich, wir sitzen still am Ufer
Mit sehnendem Gemüt und träumen -
(S. 64-65)
_____



Ich denke dein

Ich denke dein, das Herz von Wehmut schwer,
Wenn hoher Schönheit Zauber mich umwebt,
Auf Bergeshöhn - am mondbeglänzten Meer -
Wenn tief erquickt sich meine Seele hebt
Und ein Gefühl, so wonnesam und hehr,
Mein ganzes Sein im Innersten belebt,
Daß tausend Keime sich zum Lichte ringen
Und meinem Geiste wachsen neue Schwingen.

Mit dir vereint hab' ich mich einst gefreut
An allem Schönen, das die Erde trägt,
Und tausendmal ward unser Bund erneut,
Wenn unsre Seelen schwangen gleich bewegt
Vom Wunderbaren, das Natur uns beut
Und das der Künstler in sein Werk gelegt:
Drum wenn die Pulse in Entzückung beben,
Dann such ich dich, um dir dein Teil zu geben.

O welch ein Schmerz, daß längst in Staub zerfällt,
Das liebe Auge, hold mir zugewandt,
Das gleich dem meinen spiegelte die Welt
In einer Seele, die mir tief verwandt,
Und daß so früh dem Moder ward gesellt
Ein Herz, für alles Herrliche entbrannt!
Dein hoher Geist, zu Edlem auserkoren,
Wohin hat sich dein hoher Geist verloren?

Seitdem du schiedest, hab' ich erst gewußt,
Wie ohne dich ich tief vereinsamt bin,
Wie schwer bedrückt allein genoss'ne Lust
Und warmen Herzen bietet kaum Gewinn.
Wie stürzt ich gern an die verwandte Brust
Und gäbe gern mein bestes Leben hin,
Wenn mich durchfluten höchster Wonnen Schauer -
Ich bin allein - sie wandeln sich in Trauer.

Und dennoch: daß du mein warst, ist ein Glück,
Das niemals völlig starb. Du lebst in mir
Und leise kehrt dein Geist zu mir zurück,
Wenn heißer Sehnsucht flammende Begier
Ins Weite langt. Ich fühle deinen Blick,
Ich bin nicht mehr allein, ich bin bei dir
Und dir ist so ein zweites Sein gegeben:
So lang ich bin, wirst du auch weiterleben.
(S. 74-75)
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Der Todeskuß

Der Herbst hat dich geküßt,
Du schöner junger Strauch,
Und du bist tief erglüht,
Versengt von seinem Hauch.

Bald fällt dein buntes Laub
Und schwimmt hinab den Fluß -
Der Kuß, der dich entflammt,
Es war ein Todeskuß.
(S. 105)
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Wie der Lenz . . .

Du rührtest ans Herz mir wie der Lenz
Nach langem allmählichem Sterben;
Wie Amselgeflöte im Morgentau'n,
Wie sanfte Lüfte nach Wintergrau'n
Umkoste mich süß dein Werben.

Die Worte kosten. Aus deiner Hand,
Die heiß in der meinen ruhte,
Ergossen sich Wellen wie feuriger Wein,
Sie weckten Wonne, sie weckten Pein
Und zündeten Flammen im Blute.

Ich aber wußte: so rasch wie der Lenz
Entschwände dein Liebesverlangen,
Wenn ich gewährte. Was ich dir bin,
Kann ich nur bleiben mit keuschem Sinn;
So blieb vergeblich dein Bitten,
Ich hab' dir entsagt und - gelitten.
(S. 112)
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Mainacht

Erglühend stieg der beschnittene Mond
Empor über Erlen und Weiden,
Da gingen Zwei durch die Maiennacht
Zum letztenmal vor dem Scheiden.

Aus schweigenden Gärten berauschend stieg
Der ersten Rosen Gedüfte,
Um brennende Wangen liebkosend strich
Der Atem der Maienlüfte.

Die Beiden scherzten und heuchelten Ruh,
Doch wars ein vergebliches Wähnen;
Im Herzen quoll immer heißer empor
Ein süßes betörendes Sehnen.

Er nahm ihre Hand und sein lechzender Mund
Bedeckte sie zärtlich mit Küssen -
Ihr war, als ob sie in seliger Not
Ihn würde ans Herz ziehen müssen.

Sie tat es nicht und sie ließ ihn zieh'n -
Und sah dann noch manche Stunden,
Durch Tränen hinaus in die Maiennacht,
Dem Wege nach, wo er entschwunden.
(S. 113)
_____



Alles oder nichts

Du möchtest auf dem Strom des Lebens schaukeln
In stetem, ungetrübtem Sonnenschein;
Du kehrst bald hier, bald drüben fröhlich ein
Und kommst dann wieder strahlend mich umgaukeln.

Ich aber möchte in die Tiefen steigen,
Mein Herz nimmt mit so wenig nicht vorlieb,
Es schreit verschmachtend: gib mir mehr, o gib
Dich ganz mir und für immerdar zu eigen.

Das süße Spiel, o glaub' mir! - macht mich leiden.
Ich brauch' ein Herz, das ganz und immer mein,
Und kannst und willst du mir nicht alles sein,
Dann sei mir nichts! Dann laß uns lieber scheiden!
(S. 114)
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Das kleine Glück

Ich hab' mein Glück vertrieben,
Es dünkte mir zu kleine;
Konnt' ich nicht ganz beseligt,
So mocht' ich elend sein.

Nun denk' ich sein in Sehnsucht
Und kehrt es mir zurück,
Demütig will ich knieen
Vor diesem kleinen Glück.
(S. 115)
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Tote Liebe

Die braune Heide wird wieder grün,
Der kahle Felsen kann einmal blüh'n.

Am dürren Stabe wächst junges Reis
Und Flammen brechen aus Schnee und Eis.

Doch tote Liebe - das sei dir kund -
Ist toter als Wüste und Felsengrund.

Und düngst du den Boden mit Tränen schwer,
Umsonst! sie ersteht dir nimmermehr.
(S. 120)
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Eingeschneit

Ich ging heut' einen bösen Weg -
Der Schnee fiel leise nieder -
Seit ich im Lenz hier ging mit dir
Kam ich den Weg nicht wieder.

Wie heut' die Flocken fielen kalt
Und schneidend scharfe Reden,
Da waren, ach, zerschnitten bald
Der Liebe zarte Fäden.

Die Herzen, die so treu vereint
In manchen lieben Jahren,
Ob auch das Auge drob geweint,
Im Nun geschieden waren.

Auf Feld und Wiesen, Au und Wald,
So weit der Blick mag gleiten,
So weiß und öd, so todeskalt
Seh' ich den Schnee sich breiten.

Es dünkt mich meines Lebens Bild -
Wohin den Fuß ich trage,
Wie dies verödete Gefild
Sich dehnen meine Tage.
(S. 122)
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Reif

Uns're Liebe hat der Schmerz geweiht.
Ein vergnügtes Kind sie ehdem war,
Dessen Herz noch keine Sorge drückte,
Das sich lächelnd nur nach Blumen bückte
Und sie schlang in's helle Lockenhaar.

Uns're Liebe hat der Schmerz geweiht.
Seine heiße, lilienblasse Hand
Preßt' er auf das Kinderherz, das frohe,
Bis hervorschlug helle, rote Lohe
Und der zarte Leib in Qual sich wand.

Nieder senkt' er dann das bleiche Antlitz,
In der Haare Nacht den Dornenkranz,
Küßte mit dem brennendroten Munde
In des Kindes Stirne eine Wunde
Und umflorte seiner Augen Glanz. - -

Uns'rer Liebe Wunden sind geheilt,
Wieder lacht ihr holder Kindermund,
Doch im Auge ein beredtes Schwärmen
Spricht von Sehnen und geheimem Härmen,
Tut uns ihre innere Reife kund.
(S. 123)
_____



Dieweil noch unsre Herzen blühn

Nun hast du mich ganz eingehüllt
In deines Feuerzaubers Pracht,
Nun hast du mir das Herz erfüllt
Mit holder, süßer Liebesmacht.

Nun kam der Herzen großes Blüh'n,
Der Seelen hehrer Opferdrang,
Der Lebenstriebe tiefes Glüh'n,
Der höchsten Wonnen Überschwang.

Nun laß uns voneinandergeh'n,
So lange Herz um Herz noch wirbt,
Daß wir den Jammer niemals seh'n,
Wie uns're Liebe welkt und stirbt.

Das Feuer, das uns jetzt umloht,
Es prange stets in Herrlichkeit,
Dann leuchtet noch sein golden Rot
In später Tage Dunkelheit.
(S. 125)
_____



Zieh hin!

Du sollst dein Schicksal nicht an meines ketten,
Du Kind des Lichts, du leichtes Vogelherz,
Ich möchte deine helle Seele retten,
Auf lauter Blumen möchte ich dich betten
Und schützen dich vor jedem Kampf und Schmerz.

Ich flatt're nicht wie du mit leichten Schwingen
Durchs Leben hin und suche nicht nur Lust.
Mein Leben ist ein unablässig Ringen -
Ob auch harmonisch meine Saiten klingen,
Kein Friede wohnt in meiner tiefsten Brust.

Zieh' hin denn, trauter Liebling meiner Seele,
Und suche dir ein fröhlicher Gespiel,
Indessen ich dem Ernste mich vermähle
Und mich auf Dornenpfaden weiterquäle
Entgegen einem ungewissen Ziel.
(S. 126)
_____



Scheiden

Ein grauer, nasser Morgen,
Die Straße menschenleer -
Es sammeln sich die Schwalben
Zum Fluge übers Meer.

Da horch! ein Wagenrollen -
Wie laut das Herz mir schlägt!
Ade, ade! wohl weiß ich,
Wen es von hinnen trägt.

Nun tönt ein Pfiff, ein schriller,
Dann rast mit Donnerschritt
Dahin die Eisenschlange
Und nimmt mein Liebstes mit.

Ich schau' ihr nach ins Weite
Mit Augen, tränenschwer -
Ein Rabe krächzt am Zaune:
Nie mehr, oh nimmermehr!
(S. 127)
_____



Gebet

Ihr dunklen Mächte, die ihr lenket
Der Menschen Schicksale und das meine,
Nicht fleh ich euch an um Besitz,
Nicht heisch' ich mehr Glück und Liebe,
Um Eines nur bet' ich zu euch,
O gewähret mir gnädig das Eine:
Daß ich die Lebensflamme
Stets in mir lodern fühle
Heiß und gewaltig
Und daß im Dienste des Ewigen
Ein lauteres Opferfeuer
Brennend sich verzehre
Mein armseliges Sein.
(S. 139)
______



Erinnerung

Ein Tag war's wie heute, so frostig die Luft,
So träge des Flusses Wogen,
In fahlen Dunstes Dämmergrau
Verschwammen der Brücke Bogen.

Und Schnee bedeckte den Uferdamm
Und lag auf den Straßen und Wegen,
Die Raben flogen von Baum zu Baum
Mit klatschenden Flügelschlägen.

Der scheidenden Sonne rotes Gold
Versank in den frierenden Fluten -
Mir war als säh ich ein Herz voll Glut
Sich still und klaglos verbluten.

Ich stand an dem Strome und sah, wie er müd
Fortwälzte des Eises Geschiebe
Und zuckenden Herzens begrub ich still
Die letzte leuchtende Liebe.
(S. 145)
_____



Glück

Nein, ich suche nicht das Glück,
Das da sitzt auf vollen Truhen,
Will nicht vorwärts, nicht zurück,
Will genießen nur und ruhen.
Meine Seele will nicht ruhn,
Und ihr frommt nicht Lust allein,
Will von Schmerzen umgepflügt,
Will vom Sturm geschaukelt sein.

Glück ist hoher Wogengang
Einer tiefbewegten Seele,
Jubelschrei und Psalmensang
Aus befreiter reicher Kehle . . .
Glück ist Flug in hohen Weiten,
Sieg nach heißem, kühnem Streiten,
Überquellend Kraftentbinden,
Reichster Fülle Lustempfinden.

Glück will wandern und will schweifen,
Duldet weder Ring noch Reifen,
Schließt du's in den Käfig ein,
Wird es bald gestorben sein.
(S. 146)
_____



Die Gunst der Muse

Den Eiligen, die Kraft und Zeit vergeuden,
In raschen Weltgenusses leeren Freuden
Und dann verlangend nach des Dichters Ruhm
Betreten auch der Muse Heiligtum,
Um ohne wahrer Liebe Glut und Glauben
Ihr im Vorbeigehn einen Kuß zu rauben,
Ist sie ein steinern Bild, der Gnade bar,
Das unerreichbar thront auf dem Altar.

Doch wenn in keuschem Minnewerben naht
Ein scheuer Flüchtling aus der Welt der Tat,
Der hinter sich die Pforte riegelt zu,
Um ganz erfüllt von hehrer Sammlung Ruh
In ihrem Anschau'n still verklärt zu träumen: -
Dann tritt sie aus der Cella Dämmerträumen
Voll Glanz hervor, den Armen zu beglücken,
Den stolzen Mund auf seine Stirn zu drücken.
(S. 147)
_____


Aus: Im goldenen Licht
Gedichte von Ella Hruschka
Leipzig Verlag für Literatur, Kunst und Musik 1910

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ella_Hruschka



 

 


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