Maria Janitschek (1859-1927) - Liebesgedichte

Maria Janitschek

 

Maria Janitschek
(1859-1927)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:



 

Nächtiges Elend

Das sind die singenden Nächte! - - -
Da wandelt durch meine Kammer
Tönender Schmerz,
Ein wildes, zerströmendes Schluchzen. -
Mein Herz
Kann nicht schlafen
Und weint. - - - - - - - - - - - - - - - -

Setz' mich dann auf den Bettrand,
Und beginn zu singen,
Wie Mütter, die ihr Kindlein
Zum Schlummern bringen:
Schlafe mein Herz, schlafe,
Schlafe. - - - - - - - - - - - - - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 78)
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Ganz

Ein großes Unglück ist geschehn zu Giarre;
das Crucifix beim Pinienwäldchen dort
ist Zeuge dessen.
Nina und Roberta,
zwei Tigerinnen aus Siziliens Brut,
entbrannten beide heiß für einen Mann.

Die eine weich und blond wie Palmas Tochter,
mit einem Lächeln, das die Männer toll,
die Kinder jauchzen machte, launenhaft
wie bei des Monds geheimnisvollem Wachsen
die See, Roberta, hohen Wuchses, braun,
despotisch, rauh, gefürchtet von den Freunden,
gefürchtet selbst von Jenem, der sie liebte.

Er liebte sie, der junge Sohn der Griechin;
besaß sie doch, was ihm, dem Mann, versagt war,
dämonische Willenskraft, tollkühnen Trotz.
Doch Nina, Nina mit dem Venuslächeln,
mit ihren weichen Gliedern, Nina glitt
wie flüsternde Musik durch seine Träume.
Sie war sein Luxus, war der seidne Fächer,
der seiner Seele linde Kühlung gab,
war das Juwel im Ringe seines Lebens,
der Diebstahl seiner trunknen Phantasie.

Roberta ahnte dunkel sein Geheimnis.
Und einmal trat sie drohend vor die Blonde
und nahm sie an der Hand.
"Du, hüte dich,
Ich teile nicht mit dir, ich liebe ganz ..
du oder ich".
"Und wenn - ichs wär".

Roberta
starrt sie mit aufgerissnen Augen an;
dann sinkt ihr Blick zur Erde schicksalsfinster.
"Ich will ihn fragen, will ihn .. höre, ich ..
zur Stund der Ebbe harr ich deiner hier,
entscheide dich und - denke meiner Worte,
denk ihrer, hörst du es? Ich ... teile nicht".

Die Blonde holt tief Atem. Eisiger Schauer
hat sie erfaßt bei diesem starren Blick.
Sie ahnt Gefahr für jenen, den sie liebt,
den Sohn der Griechin. Ihre heitern Züge
verwandeln sich. Die Zähne tief vergrabend
in ihre roten Lippen, geht sie heim,
und weint und sinnt, und betet zur Madonna.

Am andern Morgen sucht sie zeitlich auf
die Stelle, die Roberta ihr genannt.
Nach nimmer endenwollenden Sekunden
erscheint die Freundin statuenhaft und kalt.

"Ich komme, dir zu künden", spricht sie ruhig,
"daß ich - dort unterm Kreuz wars, ihn getötet,
ich kann nicht teilen ..."

"Und ich" schreit die Blonde,
in ihre Knie brechend, "wollte dir sagen,
daß ich um seiner Ruhe willen mich
entschloß, von ihm zu lassen ..."
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Welche wohl
von ihnen beiden, hat ihn mehr geliebt? ...

Aus: Maria Janitschek Im Sommerwind Gedichte
Leipzig 1895 Verlag Kreisende Ringe (Max Spohr) (S. 31-33)
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Das Weib

Es war eine Geige;
unscheinbar und schlicht,
lehnte sie in einer Ecke
des prunkvollen Zimmers.

Ein großer Künstler
besaß die Geige ....

Es kamen Schüler
und Herren zu ihm,
um zu lernen
und um ihm zu schmeicheln;
feine Prinzen kamen zu ihm.

Manchmal hielten sie stumm
vor der Pforte des Hauses ..
Hatten die Sterne Stimmen bekommen?
War der Erde Feuer
in eine Seele geflohen
und schlug aus ihr
in tausend jauchzenden
klingenden Flammen?
Posaunten die Kriege
des jüngsten Tages
in erzenen Schreien
nieder?

Und die Lauscher
flogen hinauf in den Saal,
und sie trafen den Meister
mit brennenden Augen
und zitternden Pulsen.

"Wo ist das Werkzeug,
womit du den Himmel bethörst?"
riefen sie.

Er aber deutete
gelassen auf alle
die samtenen, güldenen
Kästen, darinnen
auf seidenen Kissen
die kostbaren Geigen
gebettet lagen.

"Es wird wohl eine
von diesen sein".

Und die Schüler warfen sich
über die funkelnden
Instrumente.
Aber keines besaß die Seele,
die sie singen gehört.
Und sie spähten und suchten,
und quälten die Saiten,
aber vergeblich.

Derbe Töne voll irdischen Wohlklangs
entlockte ihr Bogen;
doch jene himmlische,
bachantisch süße,
tolle, berückende,
wehlüsterne, selige,
glückselige Seele
sang ihnen nicht ...

Da entdeckte einer
die unscheinbare
in der Ecke lehnende
schlichte Geige.

Und er ergriff sie,
und begann sie zum Tönen
zu bringen.
Doch eine kalte
gefühlleere Antwort
ward seiner glühenden Frage ...

Nachdenklich sinnend
verließen die Schüler
das Haus ihres Meisters.

Aber als er allein war,
trat er zu jener
unscheinbaren
schlichten Geige ...

Und er berührte sie;
und es schluchzte und jauchzte
aus ihren Saiten
bei seiner Liebkosung.

Und es schluchzte und jauchzte
bei seiner Liebkosung,
und es schienen Blumen
unter seinen zitternden Fingern zu sprießen,
und wie Lachen
blutig geküßter Lippen,
wie Küsse kleiner unschuldiger Vögel
kams aus den Saiten.

Heil dir Geige!
der nur der eine
Jauchzen des Himmels entlocken kann.

Aus: Maria Janitschek Im Sommerwind Gedichte
Leipzig 1895 Verlag Kreisende Ringe (Max Spohr) (S. 18-21)
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Geburtstagsgruß

Heut war dein Todestag. Ich konnt nicht beten,
ich konnt nicht weinen; müde schwieg mein Herz.
Zur Nachtzeit war ich in den Wald getreten;
starr lag er da, wie eine Welt von Erz.

Schläfst du denn, Leben? Will sich gar nichts regen?
Mich dünkt, ich selber wär vor Leid versteint.
Es meidet mich der Thränen linder Segen,
und dieser Nacht bleibt selbst ihr Thau verneint.

So still, so ernst, so bleiern! Mitternacht!
Wohin hat sich das Leben denn verkrochen?
Als ob der Tod mit seiner schwarzen Pracht
erdrückt des Erdenherzschlags lautes Pochen.

Da ... nein, das .. ist ... o Gott, das ist ja Traum,
das muß ja Traum sein, denn die Wirklichkeit
erdichtet solche Wunderthaten kaum ...

Ein Vogel singt, um Mitternacht! .. ganz leise,
als flüstern liebe Lippen, singt er; schauernd
beugt sich mein Knie der wunderbaren Weise.

Das ist kein Vogel, was da oben singt,
das ist die fleischgewordene Erbarmung
der ewigen Liebe, die den Tod bezwingt
und Starres weckt zu seliger Erwarmung.

Und plötzlich dünkt der Wald mich ganz erhellt,
in weißen Kränzen seh ich Wesen gleiten,
die lichten Söhne einer andern Welt,
die nach der Schwester ihre Arme breiten.

Heut ist dein Todestag! Nun kann ich beten,
nun kann ich weinen ... Freudenthränen weinen ...

Aus: Maria Janitschek Im Sommerwind Gedichte
Leipzig 1895 Verlag Kreisende Ringe (Max Spohr) (S. 55-56)
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Kinderspiel

"Ich hab eine Zither, du ein blaues Band,
komm laß uns werden ein Paar!" ...
Er faßt nach ihrer braunen Hand
und bietet die Lippen ihr dar.

Sie küssen sich hungrig, sie küssen sich satt,
die Vöglein lauschen sacht;
es rührt sich in den Büschen kein Blatt;
nacktfüßig kommt die Nacht.

Die jüngsten Sterne gucken
neugierig auf die zwei,
ihre goldnen Wimpern zucken ..
zögernd ziehen sie vorbei.

Aus: Maria Janitschek Im Sommerwind Gedichte
Leipzig 1895 Verlag Kreisende Ringe (Max Spohr) (S. 43)
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Der stolzen Fraue Glück und Elend

In stiller Nacht, im Spiegel eines Traumes,
Sah'n ihre Seelen sich zum erstenmal.
Dann, als das Schicksal sie zusammenführte,
Da glich ihr Finden einem Wiedersehen.

Sie liebte es, in leiser Sternennacht
Entleg'ner Pfade Schweigen aufzusuchen,
Im Schoß der schönen Zauberin Einsamkeit
Das Haupt zu betten, rätselhafter Tale,
Geheimen Zwiegespräch zu lauschen.
Einstmals
Begegnete auf mondbeglänzten Wassers
Ihr Boot dem seinen. Neidisch sah sie es
Hingleiten lautlos durch die weichen Fluten,
Nicht mehr allein gehörten ihr die Sterne,
Der Nacht geheime Wunder sah ein Zweiter.

"Ich lieb' was du liebst", gab er stolz zurück
Auf ihre Frage.
"Deshalb liebst du mich." - -
Er schwieg. Sie legte leise ihren Mund
Auf seinen.
Da entrang ein Schrei des Glückes
Sich seiner Brust. - - - - - - - - - - - - - -
Kein Heute und kein Morgen kennen, fremd sein
Für alle, nur für eine Seele nicht,
Kein Sparen kennen, Gott die Fülle rauben,
Als Ich im Du vergeh'n, das ist die Liebe.

Am Abend eines gold'nen Junitages
Verwehte Blüten aus den Locken schüttelnd,
Rief jene Frau der Wonne sich bewußt,
Die sie ihm schenkte:
"Wie, wenn plötzlich Sturm
Vom Himmel stürzte und mich dir entzög,
Vermöchtest du zu leben?" - - -
Und er lächelnd:
"Welch' wunderliche Frage, laß mich sinnen,
Ich glaube: nein!"
"Du glaubst nur?"
"Aber Kind!"
Die Nachtigallen schwiegen bang, die Frau
Sah ihn beschwörend an.
"Ich glaube: nein!"
"Vermöchtest du zu leben ohne mich?" - -
Darauf ein langer, sie liebkosender Blick
Voll wehen Vorwurfs: "Ja!"
"Ja, ich könnt's!" - - -

Der Mond verbirgt sich hinter Wolkenhügeln,
S'ist kühl geworden, kühl und still auf einmal.

Mit müden Schritten geht die Frau von dannen,
Doch plötzlich hält sie, läuft zurück und wirft sich
An seine Brust:
"Wer ist's, der mich des Szepters
Berauben will, wen liebst du mehr als mich?"
"Die Arbeit!" - - -
Schnee. Im leergeword'nen Garten
Auf nacktes Astwerk stürzt sich müd' der Winter
Und blickt ins Land hinaus. Mit steifen Flügeln
Bewegt sich lautlos hie und da ein Vöglein.
Es schweigt die Liebe.
O du stolzgekrönte
Du demantharte, flammenzungige Liebe,
Du trotzige Streiterin, wirf endlich ab
Den schwerterblanken Harnisch deines Hochmuts,
Begehre nicht in heißem Ungestüm
Die ganze Lichtwelt eines Menschengeistes
Für dich! Ein Platz, ein kleiner Platz genügt
Im Herzen deines Liebsten. - - -
Sie schüttelte die zorngesträubten Locken.
"Nur Königin oder nichts."
Sie floh verblutend.
Er schwieg in stolzem Trotz, er schwieg sich tot.

Von neuem kam der lange blaue Sommer.
Von neuem gaukelten im Gold der Lüfte
Entzückte Lerchen, bebten junge Blumen
Im Arm des Windes.
Aber ihre Kähne
Begegneten einander nimmermehr
Auf silbernen Gewässern. - - - -
Und von neuem
Fiel eisiger Reif vom grauen Himmel nieder,
Verwischte Frost der Blumen letzes Lächeln.
Mit wunden Füßen zog die Frau dahin,
Von Land zu Land, von Stadt zu Stadt.
Einst sank sie
An seinem Grabe nieder.
"Dornenpfade
Will ich, die Stolzeste, in Demut gehen.
Nur eine Gnade sollst du Hehrer schenken
Der Büßerin: In meinem Todesstreit
O wolle dich auf gold'nem Fittig senken
Herab zu mir, aus Deiner Ewigkeit.
Zu Füßen meines Lagers stehe dann,
Reich' mir den Kranz, den Kranz aus lichten Myrten,
So rufe aus des Lebens dunklen Bann
An deine Brust, die Seele der Verirrten." - -
Auf ihrem Wege sah sie viele Türen
Geöffnet, die hinüberführten, viele.
Sie aber wollte harren, bis ihr Gott
Mit mächtigem Finger auftat seines Reiches
Geheimnisvolles Morgentor.
Die Kraft,
Die – eine unsichtbare Feuersäule -
Natur in ihr entfacht, verlöschte endlich.
In fremden Land vor einer nieder'n Hütte
Brach leiderschöpft die müde Frau zusammen.
Mitleid gab ihr ein Stübchen, denn der Tod
Begann mit ungeduldigen Händen schon
An ihrem Kleid zu zerren.
Langsam glitten
Der Nacht geheimnisvolle Schwingen nieder,
Die Töne und die Menschen schliefen ein,
Und Stille wuchs im Dunkel.
War's ein Windhauch,
Der über letzte Sommerblumen fuhr?
War's einer Menschenstimme schwaches Stammeln,
Das da im Dunkel hörbar kaum erklang?
"Nur eine Gnade sollst du Hehrer schenken
Der Büßerin: In meinem Todesstreit
O wolle dich auf gold'nem Fittig senken
Herab zu mir, aus Deiner Herrlichkeit.
Zu Häupten meines Lagers stehe dann,
Reich mir den Kranz, den Kranz aus lichten Myrten,
So rufe aus des Lebens dunklen Bann
An deine Brust, die Seele der Verirrten." - -

Da bersten wie zerspringend' Glas die Wände
Der engen Kammer und der Sternenhimmel
Die Freiheit Gottes, breitet golden sich
Der Sterbenden zu Häupten aus.
Ein Mann
Mit milden Zügen neigt sich zu ihr nieder.
"So fragelos und antwortunbedürftig,
Glückselig schon im Glauben, liebt die Liebe. -
Nun kennst du sie. Komm mit in meinen Frieden" - -
Und seine Lippen nehmen von den ihren
Die weiße Seele. - - - - - - - - - - - - - -

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 61-65)
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Kinderspiel

"Mein ist eine Zither, dein ein blaues Band,
Komm, laß uns werden ein Paar!"
Sie folgt ihm willig ins Märchenland,
Und bietet den Mund ihm dar.

Sie küssen sich hungrig, sie küssen sich satt,
Die Vöglein lauschen sacht,
Es rührt sich in den Büschen kein Blatt,
Nacktfüßig kommt die Nacht.

Die jüngsten Sterne gucken
Neugierig auf die Zwei,
Ihre gold'nen Wimpern zucken,
Zögernd ziehen sie vorbei. - - - -
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Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 57)
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An dich

Meine Augen wie zwei stille Jungfraun,
die vorm Tabernakel knien und beten,
spenden heißer Liebe stumme Grüße,
dir, dem Gottesflammenüberwehten.

Bleib auf deiner gletscherkühlen Höhe,
wo die jungen Adler dich umkreisen,
steige nicht in meines Thales Enge,
einsam sind die Höchsten, die wir preisen.

Schläng ich auch um dich die Arme gerne,
schläferte dich ein mit süßen Weisen,
daß du selig bei mir träumtest, denke:
einsam sind die Höchsten, die wir preisen.

Aus: Maria Janitschek Im Sommerwind Gedichte
Leipzig 1895 Verlag Kreisende Ringe (Max Spohr) (S. 106)
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Davids Werbung

Michal, Wunderschöne,
Laß mich seufzen nach dir,
Laß meinen Seufzer entschleiern
Dich, du Wunderschöne.

Tochter des kranken Löwen,
Noch sah ich nicht dein Antlitz,
Noch vernahm ich nicht deine Schritte,
Tochter des kranken Löwen.

Dämmerung voll von Geheimnis,
Noch glänzten mir nicht deine Sterne,
Noch kühlte mich nicht deine Kühle,
Dämmerung voll von Geheimnis.

Ahnst du, wer mir verraten
Deiner Schönheit zündende Zauber?
Deines Vaters Stimme war es,
Der im Traum deinen Namen aussprach.
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Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 102)
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Die alte Jungfer

Niemand zu Liebe, niemand zu Last,
Ist sie erloschen und verblaßt.

In ihrem Stübchen sann sie und sann
Bis ihr einsames Leben darüber verrann.

Keiner hat nach ihr die Hand ausgestreckt
Und die flügelgebundene Seele erweckt.

Keiner hat in der Sommernacht
Zu seligem Weinen sie gebracht.

Und doch flogen Locken auch ihr ums Gesicht,
Und ihre Augen glänzten jung und licht;

Und doch schlug auch ihr in verschwieg'ner Brust,
Die Sehnsucht nach Sonne und Frühlingslust.

Niemand zu Liebe, niemand zu Last,
So ist sie erloschen und verblaßt.

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 72)
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Hurrah, heil!

Rote Locken umflattern mein Angesicht,
hüpfende Flammen.
Hurrah, heil!

Meine schlanken Hüften umgürtet ein Schleier;
wer ihn löst, erblindet.
Hurrah heil!

Brennender Mohn und blaublumiges Giftkraut
sprießt unter meinen Fersen auf.
Hurrah, heil!

Meine Lippen sind heiß wie der Schrei der Lust,
süß wie weinende Sünde.
Hurrah, heil!

Feuer ist mein Hauch, mein Nein der Tod,
mein Ja die wiehernde Hölle.
Hurrah, heil!

Weißt du, weißt du, wer ich bin?
es rauchen die Wälder vor mir,
und die Himmel betrinken sich in meinem Laut:
ich bin die Liebe!

Aus: Maria Janitschek Im Sommerwind Gedichte
Leipzig 1895 Verlag Kreisende Ringe (Max Spohr) (S. 7)
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In Weiss

Schneeblüten auf meinem dunklen Haar,
O Winter, wie bist du so wunderbar!

Die Stille schmiegt sich an dein Gewand,
Und küßt im Traum deine reine Hand.

O Winter, Herr der seligen Ruh',
Sage mir Winter, wie ging das zu?

Als ich Liebe suchte in schmerzlichem Ringen,
Da quoll mir die Lippe über vor Singen.

Da barst mir die Brust schier vor Melodien,
Um das zweite Herz zu mir zu zieh'n.

Nun, da mich traf der Liebe Speer,
Nun find' ich Lied und Sang nicht mehr.

Und meine Seele, ängstlich gar,
Schloß zitternd ihre Flügel Paar.

Winter, mein Bruder, verstehst du mich? - -
Winter, mein Bruder, streu Sterne auf mich!!! - -

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 66)
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Zu spät

Seine Seele steht in Flammen!
Als die schmachtenden Blumenlippen empfingen
Den Tropfen Tau, als auf Silberschwingen
Mondlicht flog an der Erde Brust,
Und beide sich küßten in heimlicher Lust,
In der heiligen Juninacht
Ist seine Seele erwacht.

Die Stirne im Staube lag er vor mir,
Er lag vor mir, er lag vor mir.
Seine Hände umschlangen meinen Leib,
Seine Lippen flehten: Sei mein Weib!
In der heiligen Juninacht
Ist mein Elend erwacht. - - - -

Ich bin gefesselt in erzenen Banden,
Die Ewigkeit hat dabei gestanden,
Als ich gegeben mein laut Versprechen,
Selbst ein Gott vermag sein Wort nicht zu brechen. - - -

Heilige Juninacht!
Wie hast du mich stark gemacht!

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 92)
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Vorabend

Sie hatten sich lieb, kein Mensch weiß wie lieb,
Und mußten sich trennen. - - - - - - - - - - - - - -

In der Fremde sitzt sie allein vorm Haus,
Mocht's daheim nicht länger ertragen,
Und sieht in die herbstkühle Welt hinaus
In stillem, totstillem Entsagen.

Da kommt durch die Luft ein tiefer Ton,
Als begänn die Sonne zu singen,
Die lautlosen Wälder klingen davon,
Der Magd will das Herz zerspringen.

Das ist der Pfarrglocke mahnender Mund,
Marientag ist morgen,
Das tut sie allen Frommen kund
Die sich im Herrn geborgen.

Und jetzo tönt's mit hellem Klang
Aus allen Dörfern drüben,
Es ist es hehrer Weihgesang,
Kein Turm ist stumm geblieben.

Es singt und klingt der eherne Chor,
Er singt und klingt so eigen,
Er trägt die müde Welt empor,
Will ihr den Sonntag zeigen.

Die Magd erhebt sich von der Bank
In tränenlosem Weinen,
Sie schleicht aufs Feld sich, müd und wank,
Ein Bild tät ihr erscheinen.

Wie heute war's – es ist ein Jahr -
Die Luft war voll Frohlocken,
Da hoben weich und wunderbar
Zu singen an die Glocken.

An seinem Arme schritt sie still,
Und keines sprach zum andern,
Sie hatten zu sagen sich allzuviel,
Drum taten sie lieber wandern.

Durch Wälder dicht und golden braun,
Durch Täler gingen sie hin,
Auf hohem Berg in seligem Schau'n
Fand sie das Abendglüh'n.

Auch damals war Marientag
Als sie von ihm geschieden,
Und morgen ist Marientag,
O Herr, gib mir den Frieden!

Es ruft ihr wunderkrankes Herz
Zum Himmel um Erhören,
Den Wald durchklinget jubelnd Erz,
Wie Sang aus Engelchören.

Da schreit sie auf in weher Lust,
Was herber Stolz erklügelt,
Zerschmolzen ist's in ihrer Brust,
Sie eilt dahin beflügelt. - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Sie kam zu ihm mit off'nem Haar
Und Wangen vom Wege warmen,
Ihre Augen leuchteten vollmondklar,
Sie starb in seinen Armen.

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 46-48)
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Der erste Kuss

Triumphierend lag die gold'ne Landschaft,
Triumphierend lächelte der Himmel,
Triumphierend jauchzten die Geschöpfe.

Fluren dufteten und Ströme schäumten,
Alle Schwingen hatten sich entfaltet,
Aus den Larven drangen junge Leben,
Blumen trieben aus den Kirchhofsgräbern.

Welches Glück war denn herabgekommen,
Daß solch Festgejubel plötzlich herrschte?
War der Tod gestorben? Nein, noch Schöneres
War gescheh'n: Der Frühling war geboren.

"Frühling", dachte Iris, durch die gold'ne
Erdreichduftige Wärme langsam wandelnd,
"Menschen, weshalb preist ihr nur den Frühling?" - - -

Sie verstand ihn nicht, die Königstochter.
Knospen gleich schlief ihre junge Seele,
Still behütet von der Hand des Vaters.

Sommer kam und ging.
Die Wintertage
Wichen neuem Lenzen. Leise raunte
Vor sich hin die junge Königstochter:
"Menschen, weshalb preist ihr nur den Frühling?"

Und sie trat hinaus aus hoch umschloss'nen
Palmengärten, eilte durch die Felder,
Durch die blumenfrohen, bunten Wiesen,
Wo sich junge Gräser zärtlich küßten.

Sinnend hing ihr stilles Aug' an diesen,
Sah hinaus in lichtdurchscheinte Weiten,
Sah die Schwalben tanzen durch den Aether,
Und sie schüttelte die hellen Locken.

Einmal aber war's so märchenselig
Draußen in der gold'nen Frühlingsstimmung,
War's so schön wie nie.
Die Glocken sangen
In den Dörfern rings, als wär' es Sonntag.

Winde läuteten die frommen Glocken,
Junge, übermütige Frühlingswinde,
Alle Menschen falteten die Hände,
Und die Blumen senkten ihre Häupter.

In dem knospenroten Tannenwald
Stand die Königstochter und sie lauschte
Jenen Tönen und zum erstenmale
Klang ihr ahnungsvolles Herz mit ihnen.

Da berührte sie ein warmer Odem,
Und ein Jünglingsarm schlang zärtlich-schüchtern
Sich um ihren Leib.
"Phylander!"
"Iris!
Kannst du heute zürnen, heute! heute!
Hör die Glocken, sieh die Himmelsschlüssel
Die das Paradies uns öffnen, glänzen,
Sieh der tausend Purpurflügel Tanz,
Frühling, Frühling ist's, o Iris, Frühling" - - -

Und er neigte sich auf ihre Lippen
Tief herab. Die junge Königstochter
Sah mit großen Augen in den Himmel,
Hörte ferne, selige Glockenklänge. - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

"Bist so bleich, mein Kind," sprach mild der König,
Doch ein tiefer, strahlend-froher Blick,
Traf ihn aus den dunklen Jungfraunaugen.
"Niemals war ich noch so froh, mein Vater."

Oefter ging sie hin zum Walde, öfter
Saß sie einsam dort viel' lange Tage,
Saß im Lenz, im Sommer, aber niemals
Nahte jene Stunde neu verkörpert.

Mondlicht sah sie wandeln zu den Dörfern,
Wo die Glocken einst so selig klangen,
Mondlicht sah sie Himmelsschlüssel suchen,
Nimmer fand sie den zu ihrem Himmel.

Große Trauer ging da durch die Lande,
Iris, sie, die holde Königstochter,
War erkrankt an einem schweren Leide,
Das kein einziger Arzt zu bannen wußte.

Jeder Morgen sah sie schwächer werden,
Einer Säule weißem Rauches glich sie,
Die ein Windhauch jäh verflüchtigen konnte.

Eines Abends trat der Arzt zum König,
Und er sprach nichts als das Wörtchen: "Heute!"
"Heute!" rief der König und er stürzte
Auf die Knie vor seinem kranken Kinde.

"Iris, Liebling, sage, gibt’s auf Erden
Nichts Erschaff'nes, das dich deinem Vater
Wieder gäbe? Wunder möcht' ich wirken!" - - -

Da erhob sie ihre müden Augen
Sanft zu ihm und leiser Schimmer färbte
Ihre alabasterbleichen Züge.

"Wunder möchtest du aus Liebe wirken?
Nun, so wirke sie. Im Frühling küßte
Mich Pylander, zürne nicht, der Hirte.
Nur sein Kuß gibt mich dem Leben wieder." - - -

Wortlos schlug der Königsgreis die Hände
Vor das Angesicht, dann ging er langsam
Von dem Bette seiner blassen Tochter,
Um den braunen Hirten aufzusuchen.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Frühling war's. Auf sonnigen Wiesen spielten
Junge Blumen, wiegten gold'ne Falter
Sich im Blau. Die knospenroten Wälder
Glichen einem weiten Brautgemache.

Langsam wandelte in weißen Schleiern
Aus den hochumschloss'nen Königsgärten
Iris, die dem Leben Neugewonnene.

Sachte tritt sie in den Wald, da grüßen
Ferne Glocken sanft, da neigt sich leise
Auf das Königskind ein hoher Jüngling.

"Iris! Frühling ist es! Lang geschmachtet
Hab' ich nach dem lieben Antlitz. Ehrfurcht
Hielt mich ab, auf's neue dir zu nahen. - - -

Frühling, Iris!" Und er beugt sich nieder
Zu den Rosen, die entgegenblühen
Seinem Munde. "Frühling, Iris ist es." - - -

Glocken läuten in den Tälern unten,
Himmelsschlüssel glänzen in den Wiesen,
Aber sie vernimmt kein Glockenläuten.

Ihre Augen sehen keinen Himmel
Denn sie sind geschlossen. Festgeschlossen
Ruhen alle Sinne, nur die Lippen
Küssen, trinken, nur die Lippen wachen. - - -

"War's wie damals?" fragte mild der Vater,
Als sie spät, im leisen Mondenglanze
In die hochumschloss'nen Palmengärten
Langsam mit gesenkter Stirne eintrat.

Weinend sank sie an die Brust des Edlen.
"Nein, mein Vater! Keinen Himmel sah ich,
Und ich hörte keine Glocken singen,
Nur sein Kuß erfüllte meine Sinne.

Vater, Vater! Kann es nimmer werden
So wie einstens." - - -
Heiße Kindersehnsucht
Schluchzte aus der Brust der Königstochter.

"So wie einstens!" - - -
Mondlicht rann hernieder,
Und das greise Männerhaupt sah träumend
In die dämmerhafte, weiße Helle.

"So wie einstens! Küssen und den Himmel
Spüren über sich und beten küssend,
Ist nur einmal möglich, liebe Tochter,
Wenn die Liebe küßt zum erstenmale." - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Bleich blieb Iris.
Sah den Hirten nimmer.
Träumen war ihr Leben, langsam Welken.
Kann ein Sterblicher wohl Erd' und Himmel
In der engen Brust zugleich umfangen?

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 21-26)
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Das größte Leid

Was ist das allerschwerste Leid
Das nicht verlöscht die Hand der Zeit!
Was ist das bitterste Verderben,
Noch bitt'rer als ein einsam Sterben?

Das ist: Wenn Lieb nach Liebe drängt
Und – Mitleid nur, statt ihr empfängt,
Das ist das allerschwerste Leid,
Das nicht verlöscht die Hand der Zeit.

Dein Mitleid, das beglückt mich nicht.
Nein! Liebe will ich, Sonnenlicht,
Nicht einer Lampe dürftigen Schein,
Nicht Honigwasser: Feuerwein.

O brennen sollst du, liebberauscht,
Dem Frühling hab ich's abgelauscht,
Wie der es tut mit seiner Erden,
Tu ich's mit dir, mein mußt du werden.

Aus: Maria Janitschek Gesammelte Gedichte
Vierte Auflage München 1910 (S. 42)
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Liebeszauber

Welch schwüle Pracht!
Die Luft voll Funken,
als ob die Sterne vom Himmel gesunken!
Im Gras, dem feuchten,
ein heimlich Leuchten,
ein Blitzen im Walde ..
Auf der Halde
ein Knistern und Knattern,
Flüstern und Flattern,
ein Rauschen in der Luft
wie vergossener Duft …
Heute bleibt kein Arm leer …
Ave, ave Johannisnacht!

Aus: Maria Janitschek Im Sommerwind Gedichte
Leipzig 1895 Verlag Kreisende Ringe (Max Spohr) (S. 63)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Janitschek

 

 


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