Isabelle Kaiser (1866-1925) - Liebesgedichte

Isabelle Kaiser



Isabelle Kaiser
(1866-1925)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

Amori et dolori sacrum



Vergeblich

Sie sagen, der Frühling komm' über Land
Und schließe die alten Wunden.
Da bin ich bebend heut aufgewacht -
Das Heil hab' ich nicht empfunden.

Sie sagen, er schreite lachend durchs Land,
Verschwende Veilchen und Lieder.
Da zog ich hinaus, und mit leerer Hand
Kehrt' müd ich am Abend wieder.

Sie sagen, er flieg' in die Kammer hinein,
Daß heiß die Wangen sich färben -
Ich öffnete sehnend mein Fensterlein,
Ein Windstoß schlug es in Scherben.
(S. 13)
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Erwachen

Ich bin erwacht
Aus langem Schlaf,
Als in der Nacht
Sein Kuß mich traf.

Und wie es kam?
Hab' ich's gewußt,
Als er mich nahm
An seine Brust?

Er sprach: "Ich will
Dir schenken Ruh."
Da schloß ich still
Die Augen zu.
(S. 14)
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Dennoch

Längst hab' ich meinen Weg bestellt,
Was soll noch die Liebe frommen?
Wir werden auf dieser Welt
Doch niemals zusammenkommen.

Nie steigst du durch Berg und Wald
Den Weg zu meiner Zelle,
Ein anderes Weib schmückt bald
Beseligt deine Schwelle.

Doch bleibt es der hellste Strahl,
Der je meinen Pfad durchsonnte,
Daß ich dir ein einzigmal
Im Leben begegnen konnte.
(S. 15)
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Hände

Als das Leid mit harten Fäusten
Meinen Nacken niederzwang,
Blickt' ich trotzig ihm ins Antlitz,
Fiel nur in die Knie und sang.

Als der Tod die Knochenfinger
Nach mir spreizend niederstieg,
Blickt' ich furchtlos ihm ins Auge,
Reckte nur den Leib und schwieg.

Doch als deine Hand liebkosend
Über meine Locken strich,
Brach das Weib in mir zusammen,
Und ich weinte bitterlich.
(S. 16)
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Du

Du bist die Helle meines Lebens,
Im Dunkeln ging mein Lauf -
Ich suchte lange dich vergebens:
Da ging dein Stern mir auf.

Du bist die Laute meiner Tage,
Mein heimlicher Gesang,
Verstummt ist meine düstre Klage
Bei deiner Stimme Klang.

Du bist die Ruhe meiner Nächte,
Mein Wiegenlied bist du -
Ich halte betend deine Rechte
Und schließ' die Augen zu.
(S. 17)
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Seelchen

Wenn ich nächtlich um dich weine,
Wandert meine Seele aus,
Meine Seele sucht die deine,
Schleicht sich scheu nach deinem Haus.

Seelchen braucht kein Weggeleite,
Niemand sieht den stummen Gast,
Schmiegt sich leise dir zur Seite,
Nimmt dir ab des Tages Last.

Seelchen wiegt in sanftem Schlummer
Dich mit seinem Liede ein,
Und es schweigt vom eignen Kummer,
Küßt dein Haupt im Sternenschein.

Wenn es will im Osten tagen,
Zieht's von dannen leis und lind,
Daß im Haus die Menschen sagen:
"Horch! das ist der Morgenwind!"
(S. 18)
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Ahnung

- Und jäh durchzuckt ein Angstgefühl
Mein Herz - wie soll ich's nennen?
Der Wind so kalt, das Grab so kühl,
Nur meine Pulse brennen.

Da zuckt ein heißer Wetterstrahl
Am fernen schwülen Osten,
Die Tür geht auf - und stumme Qual
Lehnt sich am dunkeln Pfosten.

Da schreit mein Herz verwirrt und wund,
Es klingt mir in den Ohren.
Nun weiß ich's wohl: zur selben Stund'
Hab' ich mein Lieb verloren.
(S. 19)
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Pflicht

Ich muß dich wiedersehen
Und reite durch die Nacht,
Nicht stille will ich stehen,
Bis daß dein Aug' mir lacht.

Es jagt mit losem Zügel
Mein Hengst in Sturmes Graus
Durch Dorngeheg und Hügel
Bis hart vor deinem Haus.

Ich klopf' an deinem Fenster,
Du rufst: "Herein, mein Glück!"
Da jagen mich Gespenster
Den rauhen Weg zurück.
(S. 20)
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Traumbild

Nächtlich trat ich in das Zimmer,
Wo mein Freund am Schreibtisch stand.
Leuchtend fiel der Lampenschimmer
Auf mein festliches Gewand.

Mahnend legt' ich meine Hände
Auf des Denkers müdes Haupt:
"Ist die Arbeit nicht zu Ende,
Die dich mir so lang' geraubt?"

"Sieh, das Leben geht vorüber,
Ungenossen bleibt die Lust,
Unser Blick wird trüb und trüber,
Ruh dich aus an meiner Brust."

Langsam hob der Freund die Lider,
Sah mich an und sprach kein Wort.
Schauernd zog's durch meine Glieder,
Und still weinend ging ich fort.
(S. 21)
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Brief

Nicht ungeschrieben soll es bleiben,
Kommt es auch nie in deine Hand;
Was ich verschwiegen, laß mich schreiben,
Denn mein ist, was an dir ich fand.
Ich hatte dich ja Tag und Nacht
Ersehnt, geahnt, in Traumesnot;
Oft bin ich schluchzend aufgewacht
Und glaubte, du seist lange tot.
Da glomm ein stilles, heil'ges Licht,
Und in der Larven öder Schar
Sah ich dein maskenlos Gesicht
Mir zugewendet sonnenklar.
Und sonnenhell traf mich dein Blick;
Es läßt ein Schicksal sich nicht wenden,
In Demut nahm ich mein Geschick
Aus deinen schlanken Sonntagshänden.
Wir hatten uns noch nie gesehn
Und haben uns so rasch erkannt,
Umrauscht vom gleichen Sturmeswehn
Und stammend aus demselben Land.
Ein Land, wo blasses Leid umgeht.
Wo todgeweihte Menschen wohnen,
Und wo der Rabe kreischt: Zu spät!
Hoch über windverwehten Kronen.

Ein Land mit säulenreichem Dom,
Wo keine Bittgesuche frommen,
Kein Brückenjoch wächst überm Strom
Zum jubelnden Zusammenkommen.

O du! gefunden und verloren!
Vom Sturmwind wieder fortgeweht
Im Land, wo hoch ob allen Toren
"Laßt alle Hoffnung fahren!" steht.

Ich wandle frei, Haupt in den Lüften,
Und lausche deiner Stimme Klang,
Denn du und ich, hoch über Grüften,
Wir schweben wie ein Zwiegesang.

Dem Brief, der dich nicht finden kann,
Soll zur verschwiegnen Aufschrift werden
Ein Wort nur: "Ihm, dem lieben Mann!"
Und: "Irgendwo auf Gottes Erden!"
(S. 22-23)
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Abschied

Tief im Winterrahmen
Leuchtet mir dein Bild.
Als wir Abschied nahmen,
Fiel der Schnee so mild.

Standen eng beisammen
In der Flockenpracht.
Als wir Abschied nahmen,
Fiel der Schnee so sacht.

Und die Wellen kamen
Wie ein schluchzend Heer.
Als wir Abschied nahmen,
Kam die Nacht so schwer.
(S. 24)
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Helle Nächte

Nun kommen wieder die hellen Nächte,
Und ob ich werke den langen Tag,
Sie wecken in mir der Sehnsucht Mächte,
Daß ich nicht ruhen noch schlafen mag.

Die Geister locken, die Geister rufen,
Bis weißgewandelt aus meinem Haus
Auf mondscheinleuchtenden Marmorstufen
Ich wandernd zieh' in die Nacht hinaus

Und wandle still durch das heil'ge Schweigen,
Umhüllt vom rauschenden Seechoral,
Und hör' ein Jubeln von fernen Geigen,
Als kämst du singend durchs Alpental,

Als trüge Waldlilien deine Rechte
Und reichte sie durch den Wilddornhag
Das ist der Zauber der hellen Nächte,
Wo ich nicht ruhen noch schlafen mag.
(S. 25)
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Nachtbild

Blasser werden meine Wangen,
Müd und leise wird mein Gang,
Und ein zitterndes Verlangen
Bebt durch meiner Lieder Klang.

Ruhlos lieg' ich in der Kammer
Nachts, wenn Winterstürme wehn
Und die Sehnsucht und der Jammer
Klagend durch den Garten gehn.

Bebend öffne ich mein Fenster,
Ruf': "Gesellen, schlafet ein!"
Ach! da huschen die Gespenster
Atemlos zu mir herein.
(S. 26)
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Entsagen

Und war mir nicht beschieden
Dein Lenz, so laß mich sein
Im herbstlich goldnen Frieden
Dein Abendsonnenschein.

Und faßt auch deine Rechte
Nimmer die Hände mein,
Die Ruhe deiner Nächte,
Dein Traumbild laß mich sein!

Und wiegten andere Lieder
In Lieb und Lust dich ein:
Bricht still die Nacht hernieder,
Laß dein Gebet mich sein!
(S. 27)
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Zu spät!

Unsere Wege kreuzten sich,
Freund, mein Freund, zu spät, -
Hörst du, wie der Wetterwind
Durch die Heide weht?

Hätte mir dein Blick gestrahlt
Ach! vor langer Zeit,
Weinte nicht an meinem Herd
Heut die Einsamkeit.
(S. 28)
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Aus: Visionen



Märchen

Sie liebten sich hienieden,
Doch niemand wußte davon,
Und als sie starben in Frieden,
Da blühte der rote Mohn.

Sie wurde zu Grabe getragen
An einem stillen Tag;
Und niemand wußte zu sagen,
Wo er im Tode lag.

Sie ruhte tief im Tale,
Die Sterne schauten herab -
Da grünte mit einem Male
Ein Zweig auf ihrem Grab.

Es grünte zur selben Stunde,
Hoch in der Berge Luft,
Ein Zweig im Felsengrunde
Aus unbekannter Gruft.
(S. 46)
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Aus: Vom erloschenen Herd



Mein Orient
An Fatimé

Laßt blühen die Rose, die Hafis entzückte
In Schiras' Königssaal,
Du, mir vom Himmel so grausam gepflückte,
Du warst meine Rose im Tal!

Laßt fliehen das Reh auf den Scheidebergen
Den Hirtenhäusern zu, -
Du, mir geraubt von des Todes Schergen,
Ach, meine Gazelle warst du.

Laßt ruhen Suleika, die nimmer ich kannte,
Am fernen westöstlichen Strand, -
Du, nach des Mahoms Tochter Genannte,
Du bist mein Morgenland.
(S. 88)
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Alte Weise

Ich spiel' die alten Lieder
Aus sehnsuchtsheißem Drang -
Da hör' ich plötzlich wieder
Der Violine Klang,

Als ob dein Haupt sich neige
Wie einst im Jugendland -
Und über deine Geige
Streicht eine Geisterhand.

Ich will dich sehn und lauschen -
Schrill bricht die Weise ab ...
Ich hör' die Weiden rauschen
Im Wind auf deinem Grab.
(S. 89)
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Aus: Neue Gedichte
Aus der Eremitage



Zum letzten Mal ...

Komm, setze dich nieder an meiner Seite,
Du liebster Mann im Erdental!
Und deine beiden Hände breite
Mir über das Haupt, zum letztenmal ...
Daß ich, zum Abschied, heimlich klage,
Was dir mein stolzer Sinn verschwieg:
Das wunde Sehnen, das schluchzend zutage
Um dich aus Abgrundtiefen stieg ...
Wie Balsam auf die Todeswunde,
Die deine Freundeshand mir schlägt,
Schenk mir nur eine einzige Stunde,
Die noch des Glückes Siegel trägt - -
Zieh mich, in deiner milden Güte,
Noch einmal still an dich heran,
Und dann ... daß Gott dich mir behüte:
Du, meiner Sehnsucht lichter Schwan,
Du, meines Kranzes letzte Blüte!
(S. 130)
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Verstummt

Wie eine Fiedel unter deinem Bogen
Sang meine Seele ein geweihtes Lied,
Und schaukelte auf mondverklärten Wogen,
Wie Elfen tanzen nachts, am düstern Ried ...

Ein Irrlicht war's ... Nun lausche ich vergebens
Nach deiner Liebe windverwehtem Klang:
Ein harter Griff im Wohllaut meines Lebens,
Und meiner Seele Saitenspiel zersprang!
(S. 131)
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Ich gab mein Herz ...

Ich gab mein Herz in deine Hände,
Wie einen Strauß von wilder Blust ...
Hast du's zerpflückt am Weggelände,
Daß ich verloren Freud und Lust?

Ich wandle still am Berggelände,
Mit blassem Mund und weher Brust ...
Ich gab mein Herz in deine Hände
Wie einen Strauß von wilder Blust!
(S. 132)
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Es war ...

Ich kann doch nie vergessen in alle Zeit
Bis an des Todes mohnumblühte Pforte,
Den stillen Zauber deiner Zärtlichkeit
Und deine lichten, liebdurchbebten Worte!
Du warst mein Freund! und zogst du heimlich aus,
Weithin gelockt vom heißen Glück der andern,
Ich gönnte dir den roten Freudenstrauß ...
Dein Leiden nur soll pilgernd zu mir wandern.
- Du warst mein Freund! Als deine weiche Hand
Liebkosend strich durch meine braunen Locken,
Da klangen unsre Seelen wahlverwandt
Wie reingestimmte sonntägliche Glocken!
Du warst mein Freund! .. In deiner Arme Haft,
Fand ich das Heil für alle Lebenswunden,
Ruhvolle Rast nach langer Wanderschaft,
Nach siechen Tagen seliges Gesunden ...
(S. 133)
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Aus: Mein Herz
Gedichte von Isabelle Kaiser
3. und 4. vermehrte Auflage
J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger
Stuttgart und Berlin 1921
 


Biographie:

Geboren am 2.10.1866 in Beckenried, gestorben am 17.2.1925. Schriftstellerin. Sie verbringt ihre Schulzeit in Genf, kehrt dann in die deutsche Schweiz zurück, zuerst nach Zug und schliesslich nach Beckenried, wo sie von 1902 bis zu ihrem Tod zurückgezogen lebt. Ihre erste literarische Arbeit Perdue verfasst sie in französischer Sprache bereits im Alter von 16 Jahren; dieser Roman bleibt allerdings unveröffentlicht, so dass zuerst 1888 ihre Gedichte Ici bas, gefolgt von einem weiteren Gedichtband Sous les étoiles und ihr Roman Coeur de Femme erscheinen. Stehen zu Beginn ihrer literarischen Tätigkeit vor allem französische Werke, so verfasst sie später hauptsächlich Bücher in deutscher Sprache. Fast gleichzeitig auf deutsch und französisch erscheint der Roman Brigitte Balmer oder die Friedensucherin. Charakteristisch für Isabelle Kaiser ist nicht nur ihre perfekte Zweisprachigkeit, sondern auch die enge Verbindung von Leben und Werk.

aus: http://ead.nb.admin.ch/html/kaiser_isabelle.html



 

 


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