Hertha Kräftner (1928-1951) - Liebesgedichte



Hertha Kräftner
(1928-1951)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Mädchen

Und das heißt Mädchen sein:
am Fenster stehn und warten
und so voll Sehnsucht sein,
wie draußen im Garten
die roten Rosen sind,
wenn sie in Nächten fühlen:
wir werden blühen. -
Und man ist nicht mehr Kind.

Und das heißt Mädchen sein:
den Mond zu lieben und darüber zu weinen
und ganz voll Trauer sein,
daß man noch keinen
andern liebt
als ihn, den blassen;
und ihn dann plötzlich hassen,
weil er nicht wiederliebt.

Und das heißt Mädchen sein:
in all der Menge jäh erkennen:
ich bin allein.
Und helle, rote Feuer brennen
in ihrer tiefen Einsamkeit.
Doch ihre träumeblassen, zarten
Hände müssen lange warten,
bis einer kommt, der sie daraus befreit.
(S. 17-18)
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An Anatol

Der Weg zu deiner offnen Tür ist schwer
durch die Gewißheit, daß die Wiederkehr
mich nimmer so wird finden wie vorher.
Doch mag es leicht geschehn, daß ich nicht mehr
mich selber finde, weil schon allzusehr
ich Du geworden, lächelnd, ohne Wehr.
Was war ich denn zuvor? War ich nicht leer,
eh du kamst? Und nun nimmst du immer mehr
von dieser Leere mir und füllst mich schwer
mit deinem Nahesein. So füllt das Meer
ein treibend Boot, das kam von ungefähr.
(S. 18)
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Ein Abschied

Die Dämmerung kommt aus bleichem Land.
Ich fühle müd: sie bringt den Abschied mit -.
Leb wohl ... laß meine Hand ...
Nein, mach kein Licht,
Ich will im Dunkeln gehen.
Ich brauche, wenn ich gehe, dein Gesicht
nicht mit den Augen sehen.
Denn meine Seele nimmt es mit.
(S. 19)
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In einen fremden Abend ...

In einen fremden Abend sinkt der Regen,
darin ein langer Sommer weint.
Ich gehe einer Nacht entgegen,
in der kein Stern für Träume scheint.

Verwaschne Rosen welken vor sich hin
und lassen ihre letzten Düfte los.
Mein Herz vergißt in seiner Trauer jeden Sinn,
und eine müde Sehnsucht wird sehr groß.

Die Regenseen, manchmal nur bewegt
von müden Tropfen, spiegeln nicht, das winkt.
Was hat sich zwischen dich und mich gelegt,
daß deine Seele nicht mehr aus der meinen trinkt?
(S. 31-32)
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Ein Symbol

Und ich bot ihm einen bittern Trank.
Alle bösen, kranken Worte mengte ich hinein;
aber meine Hände waren kalt und bebten.
Und er nahm den groben Becher
(wie er sonst die goldnen nahm
- die mit Edelstein verzierten -)
lächelnd und sich freuend der gewohnten Süße;
denn er ahnte nicht die Herbigkeit.
Und die Nacht war dunkel
und er sah nicht meine Hände zittern.
(Meine Hände taten nur,
was die Stirn befahl. Aber meine
Seele war in mein Gesicht gestiegen.)
Und er sah nur mein Gesicht. -
Diese Nacht war kalt,
und als unsre Hände überm Becher sich berührten,
glaubte er die meinen kalt vom Wind.
Und er trank.
Als der Becher fiel, zersprang er.
Und sein Mund erstaunte fremd in einem Lächeln,
das so schien, als wär es nicht für mich.
Und er ging und küßte meine Lippen nicht. -
Doch die Demut hieß mich, bloßes Fußes
auf des Glases Splitter hinzutreten.
Ach, die Nacht ist lang
und mein warmes Blut fließt langsam hin.
Doch die Füße fühlen keinen Schmerz;
nur die Lippen, - denn er hat sie nicht geküßt.
Und ich hasse meine eignen Hände.
(S. 34-35)
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Du gleichst dem satten Duft ...

Du gleichst dem satten Duft der roten Rosen,
von dem man niemals weiß: woher? warum?
Du bist der süßeste von all den losen,
verstreuten Tönen, die um mich herum
zu einem goldnen Lied geworden sind,
gefaßt von namenloser Hand.

Du gleichst dem scharfen, braunen Sand,
der sich in meine Sohlen brennt. Du bist der Wind,
der weder Anfang kennt, noch Ziel,
der töten kann und dennoch lächeln wie ein Kind.
Du bist ein helles Blütenblatt, das sanft vom Rand
des Beckens in meine dunklen Wellen fiel . . .
(S. 37-38)
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Die Mädchen

Einmal kann es sein, daß eine Nacht uns überfällt,
darin wir klein und sanft erschrocken stehn.
Und wo wir hingehn, können wir nicht sehn,
weil Gott in dieser Nacht uns nicht mehr hält.

Denn solche Nächte fallen nicht aus Gottes Händen.
Da wird er blaß und schließt sich ein,
fern irgendwo, und läßt ein Dunkel um uns sein,
und läßt, weil er uns liebt, uns drin allein.
Denn solche Nächte kommen uns aus andern Händen.

Und diese Nacht ist wie ein einziger Widerspruch:
sie ist ein fremdes Feld, darüber Stürme wehen,
und ist ein altes Haus, wo hinter uns die Ängste stehen,
und gleicht der Treppe unterm Mond, wo man als Kind
am Abend traurig saß, weil der Geruch
der Rosen seltsam war im müden Wind.

O diese Nacht ist wie ein Widerspruch:
sie lächelt und ist wie ein Seidentuch,
und schlägt sich vor uns auf gleich einem Buch,
darin auf Purpurseiten silberne Worte stehn;
sie kommt zu uns aus tausend Geigen,
deren sanfte Wellen über unsre Körper gehn.
(S. 42)
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Sonett an deine Hände

Ihr seid ein schmaler Weg, ganz mondenweiß,
auf dem die Sehnsucht durch die Nächte geht,
und wie der Stern, der über blauen Wäldern steht,
drängt ihr die Angst aus eurem Kreis.

Vor eurer Süße werden Mädchen blind und heiß
und sinken in euch wie in ein Gebet;
und wie der Wind, der aus der Ferne weht,
verschenkt ihr Dinge, deren Namen man nicht weiß.

Ihr seid von blassem Samt ein Kissen,
wie die, auf denen Königinnen gar
den Stolz in Demut wandeln müssen.

Und seid ein bleiches Gift, doch süß und klar,
daß, die es tranken, dann noch lächeln müssen,
wenn sie der Tod schon nimmt an ihrem Haar.
(S. 45)
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Dein Traum

Hinter deinen Lidern hing ein Traum.
Der ruht lange dort ... bis er zum Saum
der Wimpern niedersank,
wo er sich noch einmal fing
und ihre Süße trank,
eh er mit sich geschehen ließ,
daß ihn dein Wimpernzittern auf deine Wange fallen hieß,
und er als Lächeln über deine Lippen ging.
(S. 46)
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Ich legte meine Seele ...

Ich legte meine Seele in deine Hand,
damit sie eine Schale habe und einen sichern Rand,
der sie nicht überfließen läßt.
Denn dies scheint ihr ein Fest:
von allen Grenzen sich befreien
und sich dem Ungewissen weihen,
und hingehn, wo man sich verliert
und in den Winden ferne Dinge spürt,
in Winden, die nicht wehen ...
wo man sich Männern, die man nie gesehen,
um eines Lächelns willen schenkt,
wo man an keine Ziele denkt ...

Ich gab dir meine Seele in die Hand,
damit sie eine Wand
sei zwischen ihr und jenem Land.
Denn die dort hingehn,
kommen nie mehr ganz zurück,
sie sehn dich nur mehr an mit halbem Blick,
und ihr Gesicht ist blaß und gleicht dem Wehn
einer weißen Fahne, die man vergaß im Sand.

Ich gab dir meine Seele in die Hand,
daß du ihr sagst: du bist in mir
und aus mir hast du keine Tür.
Ich halte dich in einem sichern Rand.
(S. 46-47)
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Altarstufe

Herr, laß mich noch einmal alle Tränen weinen,
auf denen jemals Menschen, die auf diesen Steinen
knieten, ihr Leid vor dich hinschoben wie ein müdes Boot.

Laß mich, o Herr, in Tränen weinen,
daß meinen Augen die Tage nicht zu Steinen
werden, die sie erdrücken wie ein böser Tod.
(S. 47)
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Gebet

Herr, laß mich tief in Demut gehen.
Laß meine Seele einen Teppich sein,
den Deine Hände vor ihn breiten.
Wenn aber seine Füße drüberschreiten,
dann laß ihn ganz aus Lippen sein,
die, seine Füße küssend, durch seine Füße untergehen.
(S. 47)
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Ich falle ...

Ich falle in deinen Willen
wie ein Blatt,
das sich den fremden Winden
ganz ergeben hat,
den fremden, großen Winden,
die manches Mal wie Sünden
sind
und deren Namen
immer nur einem Kind
ganz ohne Schrecken kamen.
Ich bin ein Blatt,
das tief im See versinken
will, nur noch ganz Wille,
unsägliche Tiefe zu trinken.
(S. 48)
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Eine Liebende

Ein großes Staunen kam und zwang sie nieder
und legte einen Schmerz auf ihre blauen Lider,
den sie erduldete wie einen Lohn.

Und durch die Tage, die sie nicht mehr rührten,
trug sie - wie eine jener Nieverführten -
ihr Antlitz wie ein Bündel weißen Mohn.
(S. 49)
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O du Entwachsener ...

O du Entwachsener aus meinen Träumen!
Meinen Tagen wirst du geben,
was sie ohne dich versäumen.
Meine blauen Wünsche sanken
lang schon in dein Haar, sich zu behüten,
und du streust Orangenblüten
mir in die Gedanken.
In den Brunnen, der mir sonst
nur Traurigkeiten spiegelt, wirfst du Sterne,
und im fernsten Kreise lerne
ich den Himmel sehn, den du bewohnst.
(S. 57-58)
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Mein Leib ...

Mein Leib ist nur
wie eine Spur
von deinen Händen.

Laß dich nicht blenden:
ich bin kein Ziel.
Ich bin nur ein Saitenspiel.
(S. 76)
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An Anatol

Du bist ein Glanz.
Du bist das Lied der Bäume,
das sich in meine Träume
einsingt wie ein Tanz.
(S. 77)
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Wie meine Tage ...

Wie meine Tage ihr Gesicht
verlöschen lassen,
wenn sie in deinem nicht
sich widerspiegelnd fassen.
(S. 98)
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Rondell

Was war es, das wir einmal fanden?
Wo ist die Zeit,
da wir sie nicht empfanden?
Nun sind wir voneinander weit
und fielen aus der Ewigkeit,
weil wir verloren, was wir fanden.
Wo ist die Zeit,
da wir sie nicht empfanden?
(S. 152-153)
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Geh ohne Mantel und vergiss ...

Geh ohne Mantel und vergiss,
was deine Heimat war.
Erfahre früh, daß nur der Riß
der Welten dich gebar
und daß du selber Zwiespalt bist,
ein Ding aus Traum und Zeit.
Und wenn die Liebe unterwegs dich küßt,
dann gehst du doppelt weit.
(S. 168)
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Beschreibung des Geliebten

Ein Fremdling unterm Weidenbaum, nur mir vertraut.
Dürstendes Tier, immer zitternd vor Unruh und Stärke.
Träume - wandelnd durch sein schwarzes Blut -
wissen nichts von seinem Hirn;
nur sein Gefühl ahnt manchmal eine Treppe bis zum Mond.
Ausgesetzt jener Liebe, die die Einsamen haben:
das Herz sich zu durchbohren
und aufzufädeln auf ein Haar,
das die Geliebte in der Leidenschaft verlor.
Und immer hungernd nach dem bitteren Geschmack
von gelben Blumen, verloren vor der Zeit.
Verirrte Bilder hinterm Lid ...
Und manchesmal schreckt er sich süß vor einem Wort,
das andere ihm sagen, weil er darinnen spürt,
wie alles ihn vertreibt.
Dann tastet er nach einem Weidenbaum,
nur mehr vertraut der Trauer. Nicht mehr mir.
(S. 199-200)
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Es ist eine Seereise bis zu dir ...

Es ist eine Seereise bis zu dir,
weil immer das Meer
vor der Liebe ist
und auf dem Meer nur der Sturm.
Immer noch sind Heros Zeiten ...
Seit Jahren ist mein Schiff
unterwegs.
Inseln ziehen vorbei,
vom Mond beschienen,
Sandküsten, traurig und leer.
Ein brauner Mann gibt Flaggenzeichen
auf der Mole.
Flöten, Schlangen und Wein in Tavernen.
Und der große Wind.
Wind mit Fischgeruch und
Albatrosschrei und Wind
mit dem Dunst auf fremden Häfen.
Das Meer und der Wind
schlagen laut an mein Boot,
aber der Steuermann
ist ein stummer Chinese.
Wie ich dich auch liebe,
du bist doch eine Seereise von mir.
Erinnerst du dich,
daß in Heros Zeiten
immer wieder ein Leuchtturm
erlischt? Und Gottes Winde
blähen nur langsam die Segel.
(S. 286-287)
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An einen Musikanten

Lege mich in deine Muschelhände
und decke meine Hüften zu.
Die weiße Gladiole
deiner Schwermut
wächst süß aus deinen Augen.
Wenn du mich anrührst,
werden deine Finger tönen.
Oh, die schwarz-braune
Trauer in deinem Gesicht ...
Wenn auch dein Haar
die Farbe böser Klänge hat,
die Nägel deiner Finger
sind aus Elfenbein,
Singe, singe und wiege mich
in deinen Muschelhänden
und wärme mich.
(S. 293)
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Erwartung

Nun wird die Uhr gleich schlagen
dann bist du da.
Und deine Hände werden sagen:
Ich bin dir nah.

Dann wird dein Mund mich küssen.
Ich wart auf dich!
Du wirst nicht betteln müssen - - -
Ich liebe Dich.
(S. 342)
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Widmung

In meinem Herzen stehen leise Fragen,
in jenem Herzen, das in allen Tagen
mit den Geschenken deiner Liebe geht.
Oh, Seele, du, willst du mir sagen:
Bist du Verwandte oder Schwester mir?
Was tat ich nur, daß ich von dir
dein Lächeln haben darf und deiner Hände
wohltuend zärtliches Berühren?
Oh sag, welch heimlich dunkle Wege führen
aus deinem Herzen her, an deren Ende
mir immer deine Liebe gegenübersteht?
- - - - - - - - - - - - - - - - -
Doch brauchst du Antwort mir nicht zu sagen.
Was deine Liebe mir entgegenführt,
was mir das Dunkel heller macht und klar:
wie eine goldne Bürde will ich's tragen,
so wie man Blumen trägt im Haar
und glücklich ist, daß ihre Last man spürt.
(S. 342-343)
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Gleichnis

Ach, weiß du denn, daß meine Liebe blüht
wie deine dunkelroten Rosen hier,
die man gebettet in die flache Schale?
Ach, ahnst du denn, daß meine Sehnsucht glüht
wie blutigroter Wein, den du da trinkst
aus kostbar-goldenem Pokale?

Du lächelst traurig? Ach, du weißt noch mehr,
und bange weht dein Wissen zu mir her:
daß einmal sterben alle unsre Rosen
und daß einst brechen werden sanfte Schalen;
und schwerer Wein - wie Blut strömt - wird vergossen
aus mattgewordenen Pokalen.
(S. 345)
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Aus dem Brief an Otto H. vom 17. 11.1947

(...) Noch nie fühlte ich die Bedeutung der Hände so sehr.
Die Hände der Liebenden leben ein eigenes Leben. Und wenn der Mund der Rand der Seele ist, so sind die Hände der Liebenden die Schale, darin sie ruht.
Und wenn ihre Hände sich berühren, so ist es, als ob der Inhalt zweier Schalen ineinander fließe.
(S. 38)
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Aus dem Brief an Otto H. vom 2. 12. 1947

Morgen werde ich zu Dir kommen.
Der Satz sieht sehr einfach aus. Aber die Worte der Liebenden haben immer eine schwere Bedeutung. Sie sind Symbole; hinter ihnen stehen ernste, hohe Dinge.
Morgen ... Dieses Wort allein schon ist nicht so einfach, als es scheint. Morgen: das bedeutet Sehnsucht, Ungeduld, darin fühlt man die dunkle, einsame Nacht, die noch vor einem liegt, morgen ... man hört die langsamen Uhren schlagen, man sieht viele Wolken wandern. Morgen: das ist ein Gebet, darin die Seele versinken muß, das ist ein Ruf aus der Not. Und alles Glück - auch jenes, das man nie erreicht, das man nur denken kann - lächelt einen daraus an. Es ist ein dunkles Wort, weil alle Sehnsucht dunkel ist. Und weil eine kleine Angst dahinter steht; denn das Morgen ist ungewiß. Es kann ebenso gut Tod wie Leben heißen. - Morgen werde ich zu Dir kommen. - Das ist eine große Erwartung.
(S. 40)
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Aus dem Brief an Otto H. vom 6. 12. 1947

Man sagt: "Liebe macht blind", - das ist ein falscher u. dummer Ausdruck, der besser hieße: "Liebe macht sehend". - Auch das scheint mir nicht ganz richtig, denn die Augen sehen vielleicht nicht mehr als sonst, aber das Gefühl ist so wach u. so geschärft. Vielleicht ist es so: Unsere Augen sehen Dinge, die uns früher wirklich nur Dinge blieben; wir begriffen sie nur mit den Augen. Aber jetzt lieben wir, u. nun ist das Gefühl immer bereit, dem leisesten Eindruck nachzugeben; wir fühlen, was hinter den Dingen steht. Ja, das ist es: nicht sehen u. hören, sondern fühlen. (...)
(S. 40-41)
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Aus dem Brief an Otto H. vom 9. 12. 1947

(...) Manchmal, wenn mich im Gedränge andere berühren, tut es mir leid. Nur Du sollst mich anrühren! Aber manchmal, wenn Du nicht da bist, wünsche ich, ich wäre nackt u. stünde im Wind. Denn in seinem Wehen läge vielleicht eine ferne Ähnlichkeit mit Deinen Händen (...) Die Liebe ist wie eine Kirche, in der am Abend die Kerzen brennen, u. wer sie betritt, wird ruhig u. gut. Alle seine Gedanken werden Gebete.
(S. 42-43)
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Abschiedsbrief an Wolfgang K. vom  12. 11.1951

Mein liebes Herz,
ich war gestern so traurig, weil ich wußte, daß es das letztemal sein würde. Ich wollte noch einmal glücklich sein und konnte nicht voraussehen, welche Grausamkeit in dieser Absicht lag. Denn ich war glücklich, irrsinnig glücklich mit Dir und wußte zur gleichen Zeit, daß ich es niemals wieder sein würde. Ich habe dich so oft angesehen, weil ich Dein Bild mit hinübernehmen wollte. Vielleicht kann man das: das sehr Geliebte in den Tod retten. Ich habe Dich geliebt wie nichts vorher, aber sie wollten mich nicht bei Dir bleiben lassen. Ich bin ganz verzweifelt darüber, ich habe mir wieder Veronal verschafft. Ich hätte so gerne mit Dir gelebt, aber allein war ich nicht stark genug, um trotz allem bei Dir zu bleiben, und Du wußtest nichts davon, und ich konnte darüber nicht mehr reden.
Verzeih mir, denk nicht böse an mich. Unsere Liebe stand unter dem Zeichen der Uhr. Denk an mich, wenn das Band aufspringt. Vielleicht verstehst Du, daß ich niemals so sehr bei Dir sein hätte können, wie ich es sein werde, wenn ich tot bin. Behalt die Geschenke aus meiner Kinderzeit und sag niemandem ein Wort. Alles wäre ganz einfach gewesen, wenn ich Dich nicht so geliebt hätte, so ausgeliefert, so ohne Rettung, ohne Maß.
Mein Süßes, mein Liebes, jetzt wein ich, weil Du mich verlierst, ich Dich aber behalte. Du verlierst mich, obgleich ich Dir niemals näher war als jetzt.
Das Café Rabel, Herr Franz, der Repressalienhändler. Kastanien. Das leere Haus am Kahlenberg. Der Samstagabend auf dem Gut. Dein Samtrock. Der Arc de triomphe. Kastanien. Der Heldenplatz. Das Haus in der Mariahilferstraße. Die Albertina. Der Bahndamm in Laxenburg. Kinderkleider am Kohlmarkt. Du. Ein ganzes Leben in sieben Wochen. Ich liebe Dich, ich liebe Dich, mein Zärtliches, mein Schmales. Zweifärbiges Haar, schiefstirnig, spitzes Lächeln. Wolfgang, Wolfgang. Ich werde langsam verrückt.
Verzeih mir, vergiß mich nicht. Ich liebe Dich.
(S. 339-340)
_____


Aus: Hertha Kräftner Kühle Sterne
Gedichte, Prosa, Briefe
Aus dem Nachlaß herausgegeben
(in alphabetischer Reihenfolge)
von Gerhard Altmann und Max Blaeulich
Mit zwei Nachworten
Wieser Verlag 1997


Biographie:

Hertha Kräftner (fembio.org)



 

 


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