Isolde Kurz (1853-1944) - Liebesgedichte

 

Isolde Kurz
(1853-1944)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Überfluß

Wer nimmt sie von mir die schwere Gabe
Der unendlichen Fülle, die mich bedrängt,
Des Glückes, das all ich zu schenken habe,
Der Glut, die ihr eignes Gehäuse versengt?

Ein Garten träumt am versteckten Orte,
In Fülle wuchernd, des Südens Kind,
Er glüht, verblüht bei geschlossner Pforte,
Ein Meer von Düften verhauchend im Wind.

Der Rebstock seufzt um des Winzers Hände:
Wann kommt, der die reife Süße pflückt?
Ein Springquell schüttet die feuchte Spende,
Zu der kein Wandrer sich lechzend bückt.

O Jugend, Jugend, wie schwer zu tragen
Das schwüle Lasten, die süße Pein!
Leicht atmet die Scholle nach Erntetagen,
Der Herbst des Lebens muß Labe sein.
(S. 12)
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Jägers Omen

Heut im frühen Morgenschein
Stand ich vor der Liebsten Tür.
Blickt sie wohl vom Fensterlein,
Oder kommt sie selbst herfür?
Siehe, mein verschlafen Liebchen
Liegt noch im geschloßnen Stübchen,
Höchstens träumt sie jetzt von mir.

Wie ich so das Aug' erhoben,
Zieht ein Nest im Baum mich an,
Drein verwickelt und verwoben
Goldnen Haars ein voller Strahn.
Goldhaar ist mir wohlbekannt,
So hat's eine nur im Land.

Warte Vogel, kleiner Dieb,
Will dir gleich das Handwerk legen.
Doch was seh ich, welch' ein Segen!
Viere, fünfe, gar zu lieb!
Schmiegen sich zum Elternpaare
Nackt und blutt in Liebchens Haare,
Piepsen: Gib und immer: Gib.

Will euch Gute nicht beläst'gen,
Will ein Zeichen drin erblicken,
Daß dereinst im trauten Nestchen
Liebchens Haare mich umstricken,
Daß einst meine junge Brut
So in ihrem Schoße ruht.
(S. 12-13)

[blutt: nackt, unbefiedert]
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Die gute Wäscherin

So weiß kann keine Wäscherin
Als wie die Liebe waschen,
Da bringt Verschwärzen nicht Gewinn,
Sie haucht nur auf die Flecken hin,
Und weg sind Staub und Aschen.

Die Trän' aus ihrem Aug' so treu
Ist wundertätige Lauge,
Nicht Jordans Wasser schafft so neu,
So rein macht Buße nicht und Reu'
Wie Trän' aus Liebeslauge.

Und wär' die Schuld so riesengroß,
Und könnt' sie Engel fällen,
Und reicht' bis in der Hölle Schoß,
Die Liebe wäscht sie fleckenslos
Mit ihres Herzbluts Wellen.

O schilt mir nicht um ihren Fleiß
Die Wäscherin, die gute!
Und wäscht sie auch die Mohren weiß,
Sie tut's mit Tränen rein und heiß,
Sie tut's mit ihrem Blute.
(S. 13-14)
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Frühlingslied

Lieblich im Lenzhauch
Baden die Glieder,
Seele, der Schmetterling,
Löst sein Gefieder.
Hoch bis zur Sonne
Schwillt mir das Herz,
Ach, und die Wonne
Mischt sich mit Schmerz.
Möchte zum Himmelsblau
Jubelnd mich heben,
Möcht' in der grünen Au
Wurzeln und kleben,
Möcht' in den Gluten
Schmelzend vergehn,
Still mich verbluten
An Sehnsuchtswehn.

Kannst nicht zum Himmelsblau
Jubelnd dich heben,
Sollst nicht in grüner Au
Wurzeln und kleben,
Aber dies Dehnen,
Weltenumfangen,
Liebendes Sehnen
Am nächsten zu hangen,
Schwanken und Beben,
Jubel und Schmerz,
Das ist dein Leben,
O Menschenherz.
(S. 15)
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Amors Schmiede

Sie
Ist's denn wahr und ward dies alte,
Trübe Herz an meinem jung?
Ach, in deiner Brauen Falte
Wacht und webt Erinnerung.

Als du mir, der Späterkornen,
Sankst ans Herz zum erstenmal,
Neuer lacht dem Blindgebornen
Nicht des Lichtes erster Strahl.

Doch ich weiß, an deinem Munde
Haben andre sich berauscht,
Haben in verschwiegner Stunde
Seel' um Seele dir getauscht.

All die goldnen Liebesscherze
Sind ein Spiel, das dir vertraut.
Liebster, sag', auf solches Herze
Ist mein Glück denn fest gebaut?


Er
Weiß ja, was in Herzensgrunde
Dir geheime Sorgen schafft.
Höre drum aus meinem Munde
Lehre tiefster Wissenschaft:

Amor ist ein Schmied geheißen,
Steht am Feuer Nacht und Tag,
Auf sein alt' und neues Eisen
Führt er singend manchen Schlag.

Herzen schartig, rostzerfressen
Nimmt er gern und schmilzt sie ein,
Aus dem Feuer seiner Essen
Gehn sie ganz und spiegelrein.

Sieh, das meine sonst so trübe,
Hell entstrahlt ihm jetzt dein Bild,
Nimm's und glaub', daß jede Liebe
Gleich der ersten Liebe gilt.
(S. 19-20)
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O daß die Liebe sterben kann

O daß die Liebe sterben kann,
Wenn noch die Seele wohnt im Licht!
O daß im Herzen bricht ihr Bann,
Noch eh' das Herze bricht!

Heut Nacht im Traum warst du bei mir,
Dein Haupt an meine Brust gelehnt,
Und Lipp' auf Lippen drückten wir,
Von Reueschmerz betränt.

Ich bin erwacht – es brach der Bann,
Wir blicken fremd uns ins Gesicht,
O daß, noch eh' das Herze bricht,
Die Liebe sterben kann!
(S. 23)
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Nein, Liebe kann nicht sterben

Nein, Liebe kann nicht sterben,
Wie heiß ihr Weh auch flammt,
Eh' ging' die Welt in Scherben,
Eh' Liebe könnt' verderben,
Denn ewig ist ihr Amt.

Kann ich den Schwur bestreiten,
Den ich im Himmel gab?
Durchs Leben dir zur Seiten
In Glück und Not zu schreiten,
Dein Schutzgeist bis zum Grab!

Leg' an mein Haupt das deine,
Was kümmert mich die Welt?
Die Welt voll Neid und Scheine,
Ich weiß ja nur das eine,
Daß ich für dich bestellt.
(S. 23-24)
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Ob du gut seist oder böse

Ob du gut seist oder böse? -
Ach, es war der Sterne Lauf!
Rätsel, die ich niemals löse,
Gibst du meinem Herzen auf.

Zwischen Lieben, Fürchten, Hassen
Schwankt die Seele friedelos.
Sicher weiß ich eines bloß:
Nimmer kann ich von dir lassen.
(S. 24)
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Die Ernte der Engel

Ein Beet ist meiner Liebsten Mund,
Ein Beet wildwuchernder Rosen.
Wir pflücken und pflücken zu jeder Stund',
Doch im Nu zerflattern die losen.

Glaub' nicht, daß ihr leichtes Gewimmel in Luft
Wie die irdischen Schwestern zerstiebe.
Sie wallen empor als Opferduft
Zum Thron der urewigen Liebe.

Dort blühen sie auf zu der Seligen Lust,
Eine reife, duftende Ernte;
Nicht schöner glänzt an des Cherubs Brust
Sein Ordensband, das besternte.

Denn es sprach zu den Kleinsten des Vaters Huld:
Die süßeste Spende sei euer!
Und williger zahle sich keine Schuld
Als im Lenze die Rosensteuer!
(S. 25)
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Sprache der Seligen

Ward doch keinem Paar auf Erden
Sprache süß wie die geschenkt!
Kann des Plauderns müde werden,
Wer in Reim und Bildern denkt?
All die kleinen Liebeslieder
Spannen aus ihr leicht Gefieder,
Künden dir mit treuem Sinn,
Daß ich ganz dein eigen bin.

Und an tausend Blumenranken,
Die dein Stift geschäftig zieht,
Kleine Amoretten schwanken,
Singen ein gemaltes Lied.
Immer neue Liebesweisen,
Die von Nord nach Süden reisen,
Künden mir von Frist zu Frist,
Daß dein Herz mein eigen ist.

Solch Geplauder, will mir scheinen,
Von der Erde stammt es nicht,
Ist die Sprache des All-Einen,
Die der Chor der Sel'gen spricht,
Drin in ew'gen Liebesfreuden
Sie den Schöpferhauch vergeuden,
Drin sie tändelnd immer neu
Künden ihre Lieb' und Treu'.
(S. 25-26)
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Ruhelos

Lieb' ist schlimmste aller Plagen,
Tausend Dornen schaffen Pein,
Immer muß ich zweifeln, zagen,
Immer fragen:
Lebt er und gedenkt er mein?

Bringt ein Brief ersehnte Kunde,
Ruh' ich wohl vom Dornenstich,
Jauchze wohl aus Herzensgrunde
Eine Stunde:
Ja, er lebt, er denkt an mich!

Doch ein schleichend Mißbehagen
Mahnt, daß dieser Gruß nicht neu;
Leiser sprech' ich, schon mit Zagen:
Vor drei Tagen
War er lebend, war er treu.

War ich kaum des Alps entbunden,
Kehrt er schon mit neuer Pein,
Kann von Qualen, Zweifelswunden
Nicht gesunden -
Lebt er noch und denkt er mein?
(S. 26-27)
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Mädchenliebe

I.
Dein war ich lange, eh' ich dich sah,
In jedem Träume warst du mir nah,
Dich sucht' ich über der Erde Revier,
Mein Leben war nur ein Träumen vor dir.

Und als wir uns fanden am sonnigsten Tag,
Schnell kündet's der Herzen stockender Schlag,
Und vor uns rang aus der Zukunft Schoß
Eine neue, schönere Welt sich los.

Da hob sich ein Leuchten wie nie zuvor,
Und anders klang mir der Vögel Chor,
Und bunter die Blumen und grüner das Land,
Und Glückliche standen Hand in Hand.

So stand in Eden das erste Paar,
Als der Tod noch fremd und das Schicksal war,
Die neue Welt lag in seliger Ruh',
Ihr Schöpfer, ihr Meister, ihr Gott warst du.


II.
Und wieder stand ich und sah mich um,
Die Sonne war bleich, und die Welt blieb stumm.
Ihr Hauch erstarrt, die Natur entseelt,
Die Erde tot, der dein Odem fehlt.

So wechseln die Lenze bei deiner Gruft
Ohne Vogelsang, ohne Blumenduft,
Statt Lebensfülle und Lebensziel
Nur ein bleiches, verworrenes Schattenspiel.

Ja, die Sonne verblich, und die Welt ist tot,
Doch du lebst und atmest im Morgenrot,
Die Jugend, die Liebe, der Lenz, das Glück,
Sie alle kehrten zu dir zurück.

Sie schmiegen sich an dich, sie flüstern traut,
Sie füllen dein Dunkel mit Licht und Laut,
Wohl blieb ich allein in der Dämmerung hier,
Doch ich schließe die Augen und träume von dir.


III.
Nie vergeß ich jenes Armen,
Jenes hagren, hungerbleichen,
Den ich einst am Wege fand.
Sah ihn lauernd mich umschleichen,
Doch nicht rief er mein Erbarmen,
Nur mit scheuen, raubtiergleichen
Blicken, drin der Hunger glühte,
Streift' er meiner Wangen Blüte
Und mein seidenes Gewand.
Magisch zog mich's ihm entgegen,
Wie durch seinen Blick gebannt
Mußt' ich in die offne Hand
Alles, was ich hatte, legen.

Jenes Armen denk' ich nun,
Wenn die abgrundtiefen Augen
Dieses Fremdlings auf mir ruhn.
Wie sie mir am Blute saugen,
Hat sein Mund doch keine Bitte,
Mit des Raubtiers scheuem Tritte
Folgt er trotzig meiner Spur.
Ach, wenn seine düstern Schmerzen
Rings wie Hölle mich umlodern,
Ruft's in meinem tiefsten Herzen:
Dieser hat ein Recht zu fodern,
Meine Seele fordr' er nur.
Und mich zwingt's, daß ich am Wege
Nicht vorbei kann ohne Gabe,
Daß ich in die Hand ihm lege
Mich und alles, was ich habe.


IV.
Nächtlich war's am stillen Weiher,
Wo ich ihm zur Seite stand,
Als im Wind mein langer Schleier
Sich um seinen Nacken wand.

Ach, was ließ ich's nur geschehen,
Daß er fest den Knoten schlang,
Mich an seiner Hand zu gehen,
Ein gefangnes Füllen, zwang!

Denn seitdem auf allen Wegen
Fühlt' ich unzerreißlich stets
Über mich und ihn sich legen
Magisch jenes Schleiers Netz.

Seit mich gar sein Arm umwindet,
Schwand der Freiheit letzter Rest.
Fessel, die uns beide bindet,
Liebe Fessel, halte fest!


V.
Rosenstöcklein, schwach und klein
Pflanzt' ich es im Garten,
Einer Blume roten Schein
Konnt' ich kaum erwarten.

Knösplein stand so schön im Hag,
Freut mich schon seit Wochen,
Heut in Tränen früh am Tag
Hab' ich es gebrochen.

Harrt' ich drum so freudevoll
Erster Rosengabe,
Daß sie glühn und welken soll
Auf des Liebsten Grabe?
(S. 34-37)
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Gnadenwahl

Ach, ein Leben ohne Liebe
Rinnt in des Vergessens Fluten,
Ist ein Frühling ohne Triebe,
Ist ein Sommer ohne Gluten,
Ohne Erntetag ein Herbst.
Wer die Liebe nie gewonnen,
Steht verbannt vom Lebensbronnen.

Ob sie heilig ihn entflammten,
Keiner Künste wird er Meister,
Nicht die Stätte der Verdammten,
Nicht der Chor der sel'gen Geister,
Ihn umfängt das Zwischenreich.
Wem die Liebe sich verschlossen,
Schemen hat er zu Genossen.

Wen ihr Atem nur berührte,
Wer des fliehenden Gewandes
Saum nur an die Lippen führte,
Ist ein Bürger ihres Landes,
Den Erkornen zugesellt,
Wen sie hielt in ihren Armen,
Nimmer kann er ganz verarmen.

Schwand sie hin in Erdenferne,
Weilt nicht länger wärmespendend,
Wandelt sie zum schönsten Sterne
Ihre Flamme strahlensendend,
Zieht das Aug' zum Äther auf,
Für die Freuden, die zerstoben,
Leiht sie Bürgerrecht dort oben.

O wie sanft der Lieb' im Arme
Sinkt das Haupt zum langen Schlummer!
Und sie wacht in ihrem Harme
Eine Weile noch als stummer
Hüter an dem heil'gen Grab.
Bis auch ihr die Wimpern fallen
Und die Schleier niederwallen.

Ach, ein Leben ohne Liebe
Rinnt in des Vergessens Fluten,
Ist ein Frühling ohne Triebe,
Ist ein Sommer ohne Gluten,
Ohne Erntetag ein Herbst.
Wer zur Liebe nicht geboren,
Dort und hier ist er verloren.
(S. 37-38)
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Zerrissnes Band

O singt in meiner Nähe kein Liebeslied!
Kein Hauch der Sehnsucht schwelle den Busen mehr,
Daß weinend nicht die nackte Seele
Mir sich in weibische Wehmut löse.

Das Buch auch tragt hinweg, das von Lieb' erzählt!
Nicht hören will ich heut, wie die Treue kämpft
Und stirbt, sich opfernd: allzuleicht ist
Sterben um Liebe, ein selig Sterben.

Von Römerinnen sprecht und von Frauenmut,
Von Taten überweiblich und liebeleer,
Daß ich auch meines stärkern Herzens
Schlag und das eigene Selbst empfinde.

An meiner Herde lauert der Feind auf mich,
Ach, mit den düstern Brauen am alten Platz,
An den gemeinsamen Altären
Sitzt er und brütet und sinnt auf Unheil.

Er leidet, raunt mir leise das Mitleid zu,
Nicht richten sollst du, tönt's aus dem Innersten,
Die Großmut sagt: Vergib! – und fester
Schnüren ums Herz sich die alten Bande.

Die Heiligtümer gab ich in seine Hut,
Zu jeder Zufluchtsstätte den Schlüssel ihm,
Und selbst mein Saitenspiel, mein Letztes,
Eigenstes hab ich an ihn vertändelt!

Von ihm nur tönt's, wenn nächtlich die Hand es rührt,
Drum lehn' es dort im Winkel bestaubt und stumm!
Doch oft von leisem Tritt erschüttert
Tönt es von selbst die gewohnte Weise.

So laßt mich fort, wo Namen stolzeren Klangs
Der Wind verwehte, fort zur Ruinenstadt!
Daß ich mir Mut und des Vergessens
Kraft aus dem Euter der Wölfin trinke.
(S. 40-41)
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Geistersprache

Woher, wenn farblos Tag auf Tag verrinnt,
Beschleicht mich oft ein jähes Glückserstaunen?
Was ist's, das sich von ferne zu mir spinnt,
Sich an mich drängt, mir Liebes zuzuraunen?

Wer sagt mir schmeichelnd: Du bist nicht allein?
So weht kein Geistergruß aus toten Reichen.
Ein Luftstrom ist's, noch warm von Sonnenschein,
Als grüßte mich vertraulich meinesgleichen.

Und heilig fühl' ich's, daß ein Geist noch lebt,
Der meinem Geist verknüpft durch ewigen Knoten,
Der den Gespielen sucht und sehnt und strebt
Und durch den Raum mir sendet stumme Boten.

Sie treffen mich, wenn er mich gleich nicht kennt,
Sie rühren mich, doch können sie nicht reden;
Ich hör', was auf verschwiegner Lippe brennt:
Noch gibt's, wenn ihr es finden könnt, ein Eden.

Es finden! Hand in Hand uns halten, ja!
Ich weiß, da fielen keine großen Worte,
Denn unsre Götter sind uns immer nah,
Und einfach ist das Glück an jedem Orte.

O fern der Welt und ihrem Krämermaß
Uns schwindelfrei ergehn auf Alpenpfaden,
Vielleicht im wilden West Amerikas
Ein Hüttendorf uns bau'n mit Palisaden.

Von Blumen sprächen wir, vom Schrei des Wilds,
Vom lauten Meere, das wir beide lieben,
Doch um uns im Elemente quillt's
Von Poesie wortlos und ungeschrieben.

Gesänge, wie sie rauscht des Urwalds Laub,
Wie sie das Hochgras in Savannen flüstert,
Und wir, begnügt, für Menschenrede taub,
Belauschten die Natur, die uns verschwistert.

Wo bist du, Zwilling meiner Seele? Schaust
Du andern Himmel? Glühn dir andre Sterne?
Trägt dich der Zug, der dort vorüberbraust,
Jetzt eben unerkannt in alle Ferne?

Vielleicht ist meine Sprache selbst dir fremd,
Doch diese Welle, die mein Herzschlag sendet,
Muß Raum um Raum durchflutend, ungehemmt
Das Herz erreichen, dem sie zugewendet.
(S. 67-68)
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Ich saß so lange vom Glück entfernt

Ich saß so lange vom Glück entfernt.
Die Lenze gingen, ich saß und sann.
Da ruft mich's bei Namen und pocht und fleht.
Ich öffne die Pforte: Wer ruft so spät?
Hinter den Bäumen entflattert ein weißes Gewand.

Die Liebe war's, ich erkannte sie schnell
An den bittenden Augen, dem scheuen Mund.
- So wart's nur, warte, gleich bin ich da.
Ich ruf' meiner Jugend, noch ist sie nah.
Hinter den Bäumen entflattert ein weißes Gewand.

Komm, Jugend, sonnige, heim zu mir.
Das Glück ist gekommen, nun komm auch du.
Kommt, silbernes Lachen und leichter Schritt,
Und bringt auch mein hoffendes Herz mir mit.
Hinter den Bäumen entflattert ein weißes Gewand.

Da kehr' ich wieder zu meinem Glück,
Das harrend sitzt auf der Gartenbank.
Ich küsse die Augen ihm lang und still,
Und es sieht nicht, was ich verbergen will.
Hinter den Bäumen entflattert ein weißes Gewand.
(S. 155-156)
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Die Brüder

Zwei Brüder herrschen im ewigen Reiche,
Gleich an allbezwingender Macht,
Unentrinnbar in ehernem Ringe
Halten sie alle Erdegebornen,
Eros der eine, der andre der Tod.
Ihrem mächtigen Zepter gehorsam
Ziehen die Scharen der Menschengeschlechter
Des Lebens Bühne hinauf, hinab.
Nimmer ist Friede zwischen den beiden,
Was der eine erschuf, zerstört der andre,
Was dieser verbunden, jener trennt es,
Doch was er verbrochen, der Bruder sühnt's.
Keinem der Herrscher mangle der Weihrauch.
Seid ihr Gewaltigen beide mir hold.
Selig preis' ich das Kind des Staubes,
Das noch vom Arm des einen gehalten
Sanft an den Busen des anderen sinkt.
(S. 156)
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Brautlied

Glieder bei Gliedern gelöst,
Schlaf in die Lider geflößt,
Herzen, die ruhiger pochen,
Und kein Wort mehr gesprochen,
Nur in befriedigter Brust
Eins noch des andern bewußt.

Lippen, die küßten sich wund,
Küßten die Herzen gesund,
Weg das Siechen und Sehnen,
Seufzer und Küsse und Tränen.
Liebe ward wieder ein Kind,
Schuldlos, wie Selige sind.

Horch und die Glocke erscholl,
Mahnt, daß die Stunde nun voll.
Leicht wie Flaum ist das Leben,
Das sich der Liebe gegeben.
Sterne, o neiget den Blick
Auf ein vollkommnes Geschick!

Droben rudert ein Schwan
Milchweiß schimmernde Bahn,
Hell das Gefieder von Sternen,
Zieht er durch himmlische Fernen,
Rudert nach Traumland voraus,
Sucht der Glückseligen Haus.

Weile, du goldener Schwan.
Stunde, den Flügel halt an.
Über dem bräutlichen Dache
Leis beziehet die Wache.
Bleibt in der Sel'gen Revier -
Traumland und Glücksland sind hier.
(S. 160-161)
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Laß mich, denn mein Herz ist ohne Pochen

Laß mich, denn mein Herz ist ohne Pochen,
Weil das Glück zu lang für mich gezaudert,
Blumen hast du für mein Haar gebrochen,
Während Frost mir durch die Seele schaudert.

Denn der Lenz ist schnell hinweggeflogen,
Und der heiße Sommer flog geschwinder,
Mädchen, die mit mir zum Tanze zogen,
Wiegen schon die Kinder ihrer Kinder.

Meine Schwelle hat das Glück vergessen.
Sieh, es wuchs das Gras mir auf den Steinen.
Bin zu lange trauernd schon gesessen,
Unter deinen Küssen muß ich weinen.

Wenn der Tag erschien im Lichtgewande,
Schmückt' ich mich, die Freude zu empfangen,
Wenn der Abend sank auf Dämmerlande,
Sprach ich leis: Sie ist vorbeigegangen.

Veilchen bringst du mir und Maienblüte,
Während Herbst mir durch die Seele schaudert.
Ach, wo warst du, da mein Herz noch glühte?
Laß mich, weil das Glück zu lang gezaudert.
(S. 179-180)
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Geheimnis

Sie sahn sich gern, doch suchten sie sich nie,
Mit keinem Wort noch Blick umwarb er sie,
Sie fragt nicht, wem sein unstet Herz gehört,
Sein Gehen hat ihr nicht den Schlaf gestört.

Und doch, so oft die zwei sich wieder nahn,
Läuft eine Welle zitternd ihm voran,
Sein Bild erscheint ihr, eh er selber da,
Die Luft erbebt und flüstert: Er ist nah.

Wenn sie sich treffen, ist's von ungefähr,
Doch beiden klopft das Herz, als wär' es mehr,
Ein Band wird fühlbar, das sie leis umflicht,
Dann fallen Worte, und der Zauber bricht.

Nur einmal hat er sie im Traum geküßt,
Fürwahr, nie kam ihm wachend solch Gelüst.
Sie fährt empor, von heißem Schreck berührt,
Sie hat von ferne seinen Kuß gespürt.

Nun sitzt er schlaflos auf dem Bett und sinnt:
Ist sie's, die wissend diesen Zauber spinnt?
Und sie zur gleichen Stunde staunt und frägt:
Fühlt er und teilt er, was in mir sich regt?

Das Leben eilt, und sie vereint es nicht.
Längst hat ein andrer ihre Treu und Pflicht,
Daß ihr Geschick nicht volle Blüten trieb,
Sie weiß es kaum – noch daß er einsam blieb.

Doch heut von Weh ist ihre Brust umschnürt,
Sein Geist hat scheidend ihren Geist berührt.
Er kam und raunt' ihr in der nächtigen Ruh
Ein Fahrewohl für dieses Leben zu.

Und immer sinnt sie nun dem Rätsel nach:
War es ein erster Ring, der hier zerbrach?
War's einer frühren Kette letztes Glied,
Von der verjüngter Erdenleib sie schied?
(S. 180-181)
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Die Liebenden

Meinem Freund, dem wunderlichen,
Wechseln seltsam die Gelüste,
Als wir jüngst den Wald durchstrichen,
Denkt ihr wohl, daß er mich küßte?

Meine Hand hielt er gefangen,
Zog ein kleines scharfes Scherchen -,
Wär' ein Mensch des Wegs gegangen,
Ihn erstaunte solches Pärchen.

Auf dem Stamm, da wir gesessen,
Gegen alle Liebesregel,
Hat er Scherz und Kuß vergessen,
Schnitt behutsam mir die Nägel.

Sprach: So große gelbe Katzen
Schuf Natur nicht treu und ehrlich,
Haben Schwerter an den Tatzen,
Und ihr Krallen ist gefährlich.

Feilt und glättet drauf bedächtig,
Und ich hielt und mußte lachen,
Denn das Werk gelang ihm prächtig,
Könnt' es selbst nicht besser machen.

Und ich dachte still das meine:
Solche große gelbe Katzen,
Wie ich meinem Freund erscheine,
Können ohne Krallen kratzen.
(S. 181-182)
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O bleib bei mir

O bleib bei mir, mein junges Glück,
Noch eine kleine Weile,
Daß ich vom Weg das letzte Stück
Leicht wie im Tanz durcheile.

Wie eines Grabes Platte lag
Auf mir das dumpfe Leben,
Du hobst den Stein, du hast dem Tag
Dem hellen mich gegeben.

Du hast dich zwischen mich gestellt
Und alle meine Dränger.
Du sprachst zum rauhen Frost der Welt:
Berühre sie nicht länger.

Du gabst die Jugend mir zurück,
Die freudlos hingesunken,
Und einen vollen Becher Glück
Hast du mir zugetrunken.

Das ist ein Trank, der mehr berauscht,
Als Taumelsaft der Trauben,
Die Welt ist oder ich vertauscht,
Und Wunder lern' ich glauben.

Ich stellt' ein Haus in blaue Luft
Und glaub' es fest gegründet,
Ich nenne rosigen Morgenduft,
Was dort den West entzündet.

Mein Glück sogar, ich fühl' es kaum,
So leicht ist Glauben, Lieben,
Das Leben ward ein Traum, ein Flaum,
Und soll wie der zerstieben.
(S. 185-186)
_____



Ich träume, daß das Glück den Mund mir küßte

Ich träume, daß das Glück den Mund mir küßte,
Und weh mir, wenn ich je erwachen müßte!
Recht wie ein Kindlein ruht am Mutterherzen,
Verträum' ich lächelnd meines Lebens Schmerzen.

O Glück, nach dem ich allzulang getrauert,
Nun halte mich, solang mein Tag noch dauert,
Aus deinen Armen laß mich in den Hafen
Des träumelosen Schlafs hinüberschlafen.
(S. 186-187)
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Nein, nicht vor mir im Staube knien

Nein, nicht vor mir im Staube knien!
Nicht mir im Arm wie Rohr zerbrechen!
Ist erst der Stunde Rausch dahin,
Ich weiß, du wirst es an mir rächen.

Jetzt ist dein Aug' von Tränen naß,
Doch manchmal blinkt's wie Mördereisen.
In deiner Liebe grollt ein Haß
Und droht mich künftig zu zerreißen.

Wo ist der Held, der frei vereint
Mit mir auf Lebenhöhen stiege?
Der tröstet, wenn das Herz mir weint,
Und mit mir lächelt, wenn ich siege?

Der nicht Gebieter ist noch Knecht,
Der fühlt wie stille Wunden brennen,
Der schonend auch dem zärtern Recht
Sich neigt in willigem Erkennen?

Wo ist der Held? Es tönt von fern
Wie Gruß von ihm an meine Ohren.
Der Held, der meines Lebens Stern,
Wird erst nach meinem Tod geboren.
(S. 191)
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Jetzt heißt es still und heimlich sich entfernen

Jetzt heißt es still und heimlich sich entfernen.
Wer wagt's der Liebe Lebewohl zu sagen?
Entschloßnes Lebewohl den Sonnentagen,
Die hingeblüht, und allen Jugendsternen?
Wer wagt's, sein Glück noch einmal zu umfassen,
Ins Aug' ihm schaun und es auf ewig lassen?

Es war doch Glück, und endigt's gleich mit Schmerzen,
Es war doch treu, bevor's die Stunden raubten.
Wer darf uns schelten, daß wir's ewig glaubten,
Als wir so fest uns hielten Herz am Herzen,
Mit Schweigen uns den tiefsten Sinn vertrauten,
Und eins im andern uns die Heimat bauten?

Was wird nun sein? Die Tage werden kommen
Und gehn und jeder wird dem andern gleichen.
Das Schöne aber bleibt hinweggenommen,
Und endlich wird Erinnrung auch verbleichen,
Bis taub und tot, dem Schattenreich verhandelt,
Das Herz vergißt, wie sich's im Licht gewandelt.
(S. 193)
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Das ist das Schlimmste

Das ist das Schlimmste: wenn zwei Herzen scheiden,
Wird alsobald ein Abgrund aufgerissen,
Der keins mehr läßt die Not des andern wissen.
Der Strom der Hölle flutet zwischen beiden.

Das Auge sieht der Liebe holde Mienen
Entstellt im fremdgewordnen Angesichte,
Und jede süße Heimlichkeit zunichte,
Den Spiegel trüb, in dem die Welt erschienen.

Der Worte Spiel, das tiefstes Leben tauschte,
Verlor den Sinn im einst geliebten Munde,
Weil jetzt der Schlüssel fehlt zu jenem Grunde,
Wo sich das ungesprochne sonst erlauschte.

Frau Zunge kommt – o mög sie Gott verderben!
Sie lispelt leis und träufelt in die Wunden
Ihr Gift, das alles Glück vergangner Stunden
In Pein verkehrt und hundertfaches Sterben.

Das ist der Schluß: dem Lassen folgt das Hassen.
Und nirgend, nirgend, nirgend eine Brücke,
Kein Wiedersehn, kein Fahrewohl dem Glücke,
Kein Gruß vorm letzten, ewigen Verblassen.

Vielleicht am Ende steigt aus Grabesschollen,
Noch einmal rein vom Schutt gestürzter Tempel,
Das echte Bildnis mit der Wahrheit Stempel,
Darauf zu spät verlorene Tränen rollen.
(S. 193-194)
_____



Die Tage meines Glückes

Die Tage meines Glückes, gezählt hab' ich sie nicht,
Mein Herz wie eine Lerche stieg auf zum Licht.
Rings leuchtete die Erde, ein Freudensaal,
Ich wehrte nachts dem Schlummer, der dein Bild mir stahl,
Entzückt, wenn deine Liebe jeden neuen Tag
Wie ein Götterkleinod auf meinem Kissen lag.
Wo ich ging und weilte, in Haus und Flur und Steg,
Glanz aus deinem Auge fiel auf meinen Weg.

Der Glanz ist nun erloschen, ich such' ihn nicht mehr,
Die Pfade, die ich gehe, sind steil und schwer.
Wo mich dein Arm gehalten, den Weg erkenn' ich nicht,
Verwandelt hat die Gegend ihr Angesicht.

Gebe Gott das eine: wenn die Frist,
An die mein Lauf gebunden, vorüber ist,
Daß mir die letzte Straße ein Glanz erhellt,
Der aus des Glückes Augen in meine fällt.
(S. 197)
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Entrückung

Zur Zeit wenn lautlos selbst die Welle ruht
Und nichts lebendig ist als Licht und Glut,
Am blauen Meergestade tief allein
Im Mittagsweben ist mein wahres Sein.

Kein Windhauch. Die Libelle träumt im Schilf,
Auf loser Ranke schläft der müde Sylph.
Nur der Zikade endlos schriller Sang
Erfüllt die Weite wie mit Geisterklang.

Da webt der Mittag zaubrisches Gesicht,
Die Dinge stehen körperlos im Licht,
Ich selbst ein Schemen luftig, weiß und stumm,
Mit andern Mittagsgeistern geh' ich um.

Die trunkne Seele kennt sich selbst nicht mehr,
Das Ich versank, und was ist jetzt noch schwer?
Ich bin ein Rauch, der sich vom Boden hebt,
Ein Sommerfalter, der ins Blau verschwebt.

Es fällt die Schranke, die vom All mich trennt,
Die Seele strömt erlöst ins Element,
Und leicht wie Wölkchen an der Alpe Saum
Lös' ich mich auf, ein kurzer Mittagstraum.
(S. 199)
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Nun bin ich stark

Nun bin ich stark, nun will ich denken,
Den irren Geist von mir zu tun.
Ins Meer will ich die Liebe senken,
Bei Perlen und Korallenbänken,
Bei Meereswundern soll sie ruhn.

Dann hör' ich nachts in meinen Träumen,
Wie sie erwacht und rege wird,
Ich hör' sie mit der Brandung schäumen,
Hör', wie auf ungemeßnen Räumen
Ihr ruheloser Schatten irrt.

Fahr hin im Sturm! Laß Wellen jagen!
Ich liege still und horch' in Ruh',
Magst schmetternd an das Ufer schlagen,
Ich hör' dem Brausen, Zürnen, Klagen
Wie einer fremden Stimme zu.
(S. 210)
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Am Rande der Liebe
Ein Zwiegespräch

I.
Hast du, Träumerin, vergessen,
Daß wir einst uns besser kannten,
Als ich Davids Reich besessen,
Und sie mich den Weisen nannten?

Kamst du nicht vom Fabelsitze
Her mit Sklaven und Eunuchen,
Um an Salomonis Witze
Dich mit Rätseln zu versuchen?

Meine Diener emsig rückten
Dir den goldenen Stuhl zum meinen,
Daß die Völker tief sich bückten
Eines Doppelsternes Scheinen.

Balkis, sprach ich, laß das Dringen
Mit manch scharf gespitzter Frage,
Daß von tausend Wunderdingen
Salomo dir Kunde sage.

Ob zuvor das Ei gewesen
Oder allererst die Henne,
Ob wir recht im Talmud lesen,
Daß der Höllenschwefel brenne.

Solch vergrabenen Wust erläutern
Laß Ägypter und Chaldäer,
An des Lebens vollen Eutern
Trank sich Salomo zum Seher.

Denn kein Schlüssel, der verrostet,
Macht dich der Gestirne Meister.
Weil die Welt ich durchgekostet,
Darum dienen mir die Geister.

Wenn dich Wissensdrang entzündet,
Neig' dich, Balkis, Mund zum Munde,
Und von Lippen, die's ergründet,
Schlürfe frisch des Lebens Kunde.

Dreimaltausend Jahre schwanden,
Doch es wissen's noch die Lieder.
Als wir Aug' in Auge standen,
Kannt' ich Sabas Fürstin wieder.

O wie vieles wär zu sagen,
Wenn die Schule sich erneute.
Wollest du mich wieder fragen,
Tiefres Wissen böt' ich heute.


II.
Kein Verstecken. Ja, ich bin es,
Bin die Königin der Märe,
Die ob köstlichen Gewinnes
Kam zu Salomonis Lehre.

Nicht verließ mich das Erinnern,
Hundert Tode, die dazwischen,
Konnten nicht aus meinem Innern,
Salomo, dein Bild verwischen.

Ja, aus meines Traumlands Dunkel
Kam ich, forschte tiefsten Strebens.
An dem brennenden Gefunkel
Kenn' ich dich, du Fürst des Lebens.


III.
Und als ich Salomos Mund geküßt,
Glänzte die Welt mir in Klarheit.
Ich stillte mein unersättlich Gelüst
Und trank an den Quellen der Wahrheit.

Was all er an Weisheit von dannen trug,
Als er tausend Weiber umfangen,
Ich trank es in Einem durstigen Zug,
Als ich am Mund ihm gehangen.

Und stolzer trug mich mein Reitkamel
Zurück auf sandigen Pfaden,
Zufrieden, daß ich das Kronjuwel
Aus Salomo Kammern geladen.


IV.
War das Leben groß und prächtig,
Als du, Strahlender, vordem
Liebeskundig, zaubermächtig
Herrschtest in Jerusalem.

Aus des Stirnbands goldenem Runde
Hob sich hehr dein dunkler Scheitel,
Doch ein Seufzer sprach im Grunde
Deiner Weisheit: Alles eitel.

Salomo verstand zu küssen,
Doch verstand er auch zu lieben?
War er auf des Lebens Flüssen
Nicht zu weit umhergetrieben?

Als er hinritt mir zur Seiten,
Sonne war er hellsten Scheines.
Festlich strahlten alle Weiten,
Doch es schwieg mein Herz wie seines.

"Schwiegen beide? Laß mich's hören,
Ob's ein andrer denn vermochte,
Dieses stille Herz zu stören,
Das doch laut an meinem pochte."

Ja. Von all der Wissenshabe,
Die der Meister ausgegossen,
Hat ein schlanker brauner Knabe
Mir den tiefren Sinn erschlossen.

Selige Blindheit und Verzückung,
Demutvoll – und wildes Werben,
Wonneschauer, Weltentrückung
Gab er und Um-Liebe-Sterben.

Drum, so oft ich wandernd kehre,
Immer such' ich nach dem Einen,
Der in göttlich dumpfer Schwere
Zittern mich gelehrt und Weinen.

"Törin, laß den Freund dich warnen,
Eh die Stunde dir entgleitet,
Daß Phantome dich umgarnen,
Daß dein Arm in Luft sich breitet.

Von unmöglichem Gewinste
Träumst du, suchst das Glück vergebens.
Aus dem trüglichen Gespinste
Birg dich an der Brust des Lebens."

Wie ich bin, so laß mich bleiben.
Doch so oft wir auf dem flinken
Boot uns noch vorübertreiben,
Wollen wir uns grüßend winken.
(S. 229-233)
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Aus: Isolde Kurz Gesammelte Werke Erster Band (Gedichte) Verlag Georg Müller München 1925



Biographie:
Isolde Kurz (* 21. Dezember 1853 in Stuttgart; † 6. April 1944 in Tübingen) war eine Stuttgarter Schriftstellerin und Übersetzerin, Tochter des Schriftstellers Hermann Kurz d. Ä., lebte 1877-1910 in Italien. Sie führte Studien über florentinische Geschichte, "Florentiner Novellen" (1890), Essays über die florentinische Renaissance (1902). 1914 verfiel sie dem deutschen Nationalismus. Ihr Roman "Vanadis" (1931) wurde bis in die 1950er Jahre vor allem von konservativ-deutschnationalen Bildungsbürgern goutiert.
aus: www.wikipedia.de

siehe auch:
http://www.jiii.de/dichterinnen-2002/Kurz/
http://delphi.zsg-rottenburg.de/hella_mohr/geburtstag.html

 

 


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