Wenn je ein Schönes mir zu bilden glückte . . .

Kurze Liebesgedichte deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Paul Wertheimer
(1874-1937)


Seelen

Du weisst, wir bleiben einsam: du und ich,
Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
Mit freien Kronen, die der Seewind streift;
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Und zwischen beiden webt ein feines Licht
Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin.


Aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 28)
_______


Bild

Liebste, wie ich dich heute fand,
Tändelnd, einen Globus in der Hand,
Möcht' ich dich malen:
mit kühlen Wangen,
Gelöst vom Kleide die Silberspangen,
Im Haar ein wehendes Seidenband,
Die runde Welt in deiner lässigen Hand.


Aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 32)
_______


Das Erlebnis

Früher, da ich nur Sehnsucht war,
Sang ich von Küssen, Lauben, wildem Haar.
Nun ist mein Herz ganz ruhig, leicht und klar.

Nun wird es kaum von einem Takt bewegt.
Seit sich das Glück in meiner Stube regt
Und seine Arme flüsternd um mich schlägt!


Aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 38)
_______


Das Glück

Sah das Glück zur Stube 'rein,
Trug einen Kranz von Sonnenschein
Und ein paar Heckenrosen.

Warf mir eine Rose zu,
Sagte mir ein rasches du
Und ist davon geflogen.


Aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 49)
_______


Schlummerlied

Du bist ich und ich bin du ..
Schliesst uns das Glück die Augen zu;
Wiegt uns mit einem Sang zur Ruh:
.. Du bist ich und ich bin du ..

Aus: Neue Gedichte von Paul Wertheimer
München und Leipzig bei Georg Müller 1904 (S. 81)
_______


Fülle

Meine wilde Unrast lief
Irrend auf vielen Wegen,
Bis sie in deinem Schoß entschlief.

Meine Seele war knospender Drang,
Bis sie in deinem Segen
Reife ward und Fülle und Klang.


Aus: Paul Wertheimer Sommerhaidenweg. Neue Gedichte
Rikola Verlag Wien Berlin Leipzig München 1921 (S. 23)
_______

 

 


zurück weiter
zur Übersicht


 

zurück zur Startseite