EIGENSINN
Wunderlicher Sinn, Unbeständigkeit, ausschweifende Bewegungen.
Nach dem Eigensinne richtet sich die Mode, der Geschmack und die
Empfindung der Schönen, ja man könnte noch hinzusetzen, aller Leute.
Der Mensch von wunderlichen Trieben,
Pflegt bald das häßlichste zu lieben:
Und setzt ihm oft das schönste nach.
Denn die Vernunft ist viel zu schwach,
Den tollen Eigensinn zu stöhren,
Und was er will, ihm zu verwehren.
Es ist eine gewisse Art des Eigensinns, welche ihren Grund in der Liebe
hat: Eine Schöne bedient sich dessen, um einen Verliebten desto stärker
zu fesseln, indem sie ihm zeigt, daß wenn man sich nicht alle Mühe giebt,
ihn zurück zu halten, sie uns bey der geringsten Gelegenheit, ja wenn
auch keine wäre, entwischen wird.
Es ist nur den jungen und liebenswürdigen Personen erlaubt, eigensinnig
zu seyn, weil die Schönheit sowohl als die Reichthümer die Thorheit
erträglich machen. Denn Thorheit und Eigensinn sind gleichgeltende
Wörter.
Herr Nericault Detouches hat eine Abbildung von einer Eigensinnigen
gemacht, welche unvergleichlich wohl gerathen. Sie befindet sich in
seiner Comoedie von dem verheyratheten Philosophen, man verweist den
begierigen Leser dahin.