L I E B E S - L E X I K O N

Die entdeckte Sprache der Verliebten
oder reelles Liebes-Lexikon
aus dem Jahre 1749

 



 




GETREU

Getreue Liebhaber und langwierige Leidenschaften sind nunmehro nur eine Zierde der Bücher und ein Anstrich der Schaubühne. Man kann die Art, wie wir heutiges Tages unsere Liebe anstellen, mit dem lächerlichen Gottesdienste vergleichen, welchen die Heiden einigen von ihren Gottheiten erwiesen. Es gab Weiber, welche sich anstellten, als kämmten sie die Juno, indem sie die Finger und Hände bewegten, als wenn sie wahrhafte Haare ausgekämmet hätten, sie zogen sie an und damit sie wissen möchten, ob die Göttin so zufrieden wäre, so ließen sie dieselbe in einen Spiegel schauen. Diese lächerlich ernsthafte Verehrung gleicht derjenigen nicht übel, welche ein Verliebter seiner Schönen erzeigt. Er fällt vor dieser kleinen Gottheit auf die Knie, und erweißt ihr dem Schein nach im Ernst viele Ehrenbezeugungen, darüber er in seinem Herze lacht, er opfert ihr zubereiteten Weyrauch und erdichtete Gelübde. Alsdann verspricht man Treue bey allen Prüfungen, aber nur den Worten nach. Wir überlassen den Holländern diese Scrupel, welche machen, daß sie die elenden Ueberbleibsel einer alten Neigung schwächlich unterhalten, aus Furcht sie möchten für Betrüger angesehen werden. Ein getreuer Liebhaber wird bey uns entweder für einen schlechten Menschen oder für einen, der das zärtliche Vergnügen nicht wohl versteht, gehalten.
Unter der Treue versteht man demnach den festen Entschluß mit einer grausamen zu Stande kommen, und ein getreuer Liebhaber, ist ein Liebhaber der noch nichts erhalten hat: die genoßne Gunst ist das Grab der Treue.

 


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