L I E B E S - L E X I K O N

Die entdeckte Sprache der Verliebten
oder reelles Liebes-Lexikon
aus dem Jahre 1749

 



 




LIEBE

Ist, dem Herrn von Bussy zu Folge, ein Verlangen von demjenigen, so man liebt, wieder geliebt zu werden: und nach der Meynung des Herrn Rochefoucault ein verborgner und zärtlicher Trieb dasjenige, was man liebet, zu besitzen.

Die Menschen zu der alten Zeit,
Verlangten nichts als Lieb und Redlichkeit;
Und hatt' ein schönes Kind ein zärtlich Herz gefangen,
So ist man frey herausgegangen.

Andere Zeiten, andere Sitten; die Liebe ist heutiges Tages nichts mehr als eine Handlung von Betrügerey, dabey man sich allezeit etwas zu gewinnen vorsetzet, und voritzo hält man eine uninteressierte Liebe für eine Sache, so man sich bloß in Gedanken vorstellt: man nennt diese Liebe, eine Liebe des Corneille, weil sie sich nur in den Tragoedien dieses Poeten und in einigen Romane befindet, kaum kann man diese metaphysischen Ideen begreifen: Die Schreibart der Verliebten unserer Zeiten ist folgendergestalt beschaffen:

Dona Clarice
Grausamer, liebst du mich?
D. Ferdinand
Wie so? ob ich dich liebe?
Nichts gleicht der starken Gluth von meinem regen Triebe,
Du hast allein mein Kind das Herze mir entführt,
So daß es ohne dich kein Glücke mehr verspürt,
Doch pflegt mich die Vernunft hierbey noch zu vergnügen,
Denn meine Liebe muß der Nutzen überwiegen.

Bemerket, daß diese Liebe welcher nichts zu vergleichen ist, selbst wieder mit dem Eigennutze, welcher sie ohne Schwierigkeit überwiegt, gar nicht in Vergleich zu setzen sey. Dergleichen Vernunftschlüsse sind so gemein, daß man darbey den Widerspruch nicht mehr wahrnimmt.

Es giebt noch eine andere Gattung von Liebe, die man in der Republik der Wissenschaften die poetische Liebe oder Poetenliebe nennt, und welche die Italiener eine Liebe nach Art des Petrarcha genennt haben. Herr Piron in seiner Metromanie, welches man eine Satyre nennen kann, die dem Verfasser wider sich selbst entwischet, macht den Abriß einer Poetischen Liebsten also:

Ja, ja ich liebte sie mit eben solcher Lust,
Als andern insgemein nur von der That bewust.
Ein würcklich Mädgen kann mich nicht so sehr vergnügen,
Sie bleibt ja, wie sie ist, an Gang, Gestalt, und Zügen.
So aber stellt mir oft mein angereitzter Sinn,
Bald eine Nymphe vor, bald eine Schäferin.
Bald ist sie braun, bald schwarz, verliebt, ja keusch und züchtig,
Frau, Jungfer und dabey in alle Sättel tüchtig.

Die Poeten machen also einen sehr großen Unterschied zwischen einer würklichen und einer poetischen Liebe; und die Callisten, für welche sie vor viele Verse machen, sind nicht allezeit ein geliebtes Object, es sind poetische Gebietherinnen und man bedient sich derselben um einen gewissen Gegenstand zu haben, bey welchem man einige Gedanken anbringen kann.

 


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