L I E B E S - L E X I K O N

Die entdeckte Sprache der Verliebten
oder reelles Liebes-Lexikon
aus dem Jahre 1749

 



 




VERLASSEN

Ein Wort, zu welchem fast allezeit eine Verneinung gesetzt wird, welche man mit einem Schwure begleitet, damit sie mehr Nachdruck habe.

Nein, Mademoiselle, ich werde sie niemals verlassen;
der Himmel rotte mich aus, wenn ich sie verlasse.
Dieses bedeutet dem Anscheine nach, daß man das geliebte Object selbst seinem Leben vorziehe; allein der Gebrauch lehret, daß man wenigstens dergleichen Bedingung als diese hier sind, darunter verstehen müsse: Wenn ich bey ihnen eben die Ergötzung habe, wenn ich keine Schönheit finde, die mich stärker reizt.

Man bedient sich bisweilen diese Wortes bey einem Verdruß, um eine matte Begierde wieder zu beleben, oder eine Grausame zu recht zu bringen.

Sie wollen es so haben, Grausame, ich willige darein, ich verlasse sie.

Ein Verliebter, der dieses mit einer zärtlichen Miene sagen kann, und welcher einige Thränen dabey fliessen läßt, kommt in seiner Sache sehr weit: Denn dieses bedeutet: die Furcht einen Verliebten zu verlieren, kann bey ihnen machen, daß ich einige Schritte weiter kommen: wenn ich sie verlasse, so werde ich hierdurch ihr Bedienung geringer machen, überlegen sie es.

In dem Munde einer Gebietherinn: Was verlassen sie mich, Treuloser! will so viel sagen: Ich werde den Verdruß haben zu sehen, daß eine andere dasjenige besitze, was ich für mein hielte, die Leute werden sprechen: Madame *** hat den Herrn *** nicht länger bey sich behalten können, welcher nunmehro Luscinde verehret; sie sind alle Tage beysammen, er führte sie gestern zum Ball. O Götter! ein so abscheulicher Gedanke macht eine Frau rasend, wenn sie von diesem erschrecklichen Begriffe beunruhiget wird: sie sagt tausenderley ungereimtes Zeug, und thut eben so viel dergleichen.

 


zurück zum Stichwort-Verzeichnis
 

zurück zur Startseite