Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Gottfried August Bürger
(1747-1794)



Der Entfernten
2. Sonett

Du mein Heil, mein Leben, meine Seele!
Süßes Wesen, von des Himmels Macht
Darum, dünkt mir, nur hervorgebracht,
Daß dich Liebe ganz mir anvermähle!

Welcher meiner todeswerten Fehle
Bannte mich in diesen Sklavenschacht,
Wo ich fern von dir, in öder Nacht,
Ohne Licht und Wärme mich zerquäle?

O, warum entbehret mein Gesicht
Jenen Strahl aus deinem Himmelsauge,
Den ich dürftig nur im Geiste sauge?

Und die Lippe, welche singt und spricht,
Daß ich kaum ihr nachzulallen tauge,
O, warum erquickt sie mich denn nicht?
(S. 299)
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An das Herz
Sonett

Lange schon in manchem Sturm und Drange
Wandeln meine Füße durch die Welt.
Bald den Lebensmüden beigesellt,
Ruh' ich aus von meinem Pilgergange.

Leise sinkend faltet sich die Wange;
Jede meiner Blüten welkt und fällt.
Herz, ich muß dich fragen: Was erhält
Dich in Kraft und Fülle noch so lange?

Trotz der Zeit Despotin Allgewalt
Fährst du fort, wie in des Lenzes Tagen,
Liebend wie die Nachtigall zu schlagen.

Aber ach! Amanda hört es kalt,
Was verblühte Lippen Holdes sagen. -
Herz, ich wollte, du auch würdest alt!
(S. 328)
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Der versetzte Himmel
Sonett

Licht und Luft des Himmels zu erschauen,
Wo hinan des Frommen Wünsche schweben,
Muß dein Blick sich über dich erheben,
Wie des Betenden voll Gottvertrauen.

Unter dir ist Todesnacht und Grauen.
Würde dir ein Blick hinab gegeben,
So gewahrtest du mit Angst und beben
Das Gebiet der Höll' und Satans Klauen.

Also spricht gemeiner Menschenglaube.
Aber wann aus meines Armes Wiege
Mollys Blick empor nach meinem schmachtet:

Weiß ich, daß im Auge meiner Taube
Aller Himmelsseligkeit Genüge
Unter mir der trunkne Blick betrachtet.
(S. 261)
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Liebe ohne Heimat
Sonett

Meine Liebe, lange wie die Taube
Von dem Falken hin und her gescheucht,
Wähnte froh, sie hab' ihr Nest erreicht
In den Zweigen einer Götterlaube.

Armes Täubchen! Hart getäuschter Glaube!
Herbes Schicksal, dem kein andres gleicht!
Ihre Heimat, kaum dem Blick gezeigt,
Wurde schnell dem Wetterstrahl zum Raube.

Ach, nun irrt sie wieder hin und her!
Zwischen Erd' und Himmel schwebt die Arme,
Sonder Ziel für ihres Flugs Beschwer.

Denn ein Herz, das ihrer sich erbarme,
Wo sie noch einmal, wie einst, erwarme,
Schlägt für sie auf Erden nirgends mehr.
(S. 263)
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Die Eine
Sonett

Nicht selten hüpft, dem Finken gleich im Haine,
Der Flattersinn mir keck vors Angesicht:
"Warum, warum bist du denn so auf eine,
Auf eine nur bei Tag und Nacht erpicht?

"Ha! glaubst du denn, weil diese dir gebricht,
Daß Liebe dich mit keiner mehr vereine?
Der Gram um sie beflort dein Augenlicht;
Und freilich glänzt durch diesen Flor dir keine.

"Die Welt ist groß, und in der großen Welt
Blühn schön und süß viel Mädchen noch und Frauen.
Du kannst dich ja in manches Herz noch bauen." -

Ach, alles wahr! Vom Rhein an bis zum Belt
Blüht Reiz genug auf allen deutschen Auen.
Was hilft es mir, dem Molly nur gefällt?
(S. 258)
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Für sie mein Eins und Alles
Sonett

Nicht zum Fürsten hat mich das Geschick,
Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren,
Und fürwahr, nicht Hellers Wert verloren
Hat an mich das goldbeschwerte Glück.

Günstig hat auch keines Wessirs Blick
Mich im Staat zu hoher Würd' erkoren.
Alles stößt, wie gegen mich verschworen,
Jeden Wunsch mir unerhört zurück.

Von der Wieg' an bis zu meinem Grabe
Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis
Meine Ehr' und meine ganze Habe.

Dennoch auch dies eine, so ich weiß,
Spendet' ich mit Lust zur Opfergabe,
Wär', o Molly, dein Besitz der Preis.
(S. 260)
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Trauerstille
Sonett

O wie öde, sonder Freudenschall,
Schweigen nun Palläste mir wie Hütten,
Flur und Hain, so munter einst durchschritten,
Und der Wonnesitz am Wasserfall!

Todeshauch verwehte deinen Hall,
Melodie der Liebesred' und Bitten,
Welche mir in Ohr und Seele glitten,
Wie der Flötenton der Nachtigall.

Leere Hoffnung! Nach der Abendröte
Meines Lebens einst im Ulmenhain
Süß in Schlaf durch dich gelullt zu sein!

Aber nun, o milde Liebesflöte,
Wecke mich beim letzten Morgenschein
Lieblich, statt der schmetternden Trompete.
(S. 262)
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Der Entfernten
1. Sonett

O wie soll ich Kunde zu ihr bringen,
Kunde dieser ruhelosen Pein,
Von der Holden so getrennt zu sein,
Da Gefahren lauernd mich umringen?

Hüll' ich, der Entfernten sie zu singen,
In den Flor der Heimlichkeit mich ein:
Ach! so achtet sie wohl schwerlich mein,
Und vergebens muß mein Lied verklingen.

Doch getrost! Zerriß nicht, als sie schied,
Laut ihr Schwur die Pause stummer Schmerzen:
"Mann, du wohnest ewig mir im Herzen?" -

Diesem Herzen brauchest du, o Lied,
Des Verhüllten Namen nicht zu nennen:
An der Stimme wird es ihn erkennen.
(S. 298-299)
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Täuschung
Sonett

Um von ihr das Herz nur zu entwöhnen,
Der es sich zu stetem Grame weiht,
Forschet durch die ganze Wirklichkeit
Ach umsonst! mein Sinn nach allem Schönen.

Dann erschafft, bewegt durch langes Sehnen,
Phantasie aus Stoff, den Herzchen leiht,
Ihm ein Bild voll Himmelslieblichkeit.
Diesem will es nun statt Molly frönen.

Brünstig wird das neue Bild geküßt;
Alle Huld wird froh ihm zugeteilet;
Herzchen glaubt von Molly sich geheilet.

O des Wahns von allzu kurzer Frist!
Denn es zeigt sich, wenn Betrachtung weilet,
Daß das Bild leibhaftig - Molly ist.
(S. 259)
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Naturrecht
Sonett

Von Blum' und Frucht, so die Natur erschafft,
Darf ich zur Lust wie zum Bedürfnis pflücken,
Ich darf getrost nach allem Schönen blicken
Und atmen darf ich jeder Würze Kraft.

Ich darf die Traub', ich darf der Biene Saft,
Des Schafes Milch in meine Schale drücken.
Mir front der Stier; mir beut das Roß den Rücken;
Der Seidenwurm spinnt Atlas mir und Taft.

Es darf das Lied der holden Nachtigallen
Mich, hingestreckt auf Flaumen oder Moos,
Wohl in den Schlaf, wohl aus dem Schlafe hallen.

Was wehrt es denn mir Menchensatzung, bloß
Aus blödem Wahn, in Mollys Wonneschoß,
Von Lieb' und Lust bezwungen, hinzufallen?
(S. 261)
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Auf die Morgenröte
Sonett

Wann die goldne Frühe, neugeboren,
Am Olymp mein matter Blick erschaut,
Dann erblass' ich, wein' und seufze laut:
Dort im Glanze wohnt, die ich verloren!

Grauer Tithon! Du empfängst Auroren
Froh aufs neu', sobald der Abend taut;
Aber ich umarm' erst meine Braut
An des Schattenlandes schwarzen Thoren.

Tithon! Deines Alters Dämmerung
Mildert mit dem Strahl der Rosenstirne
Deine Gattin, ewig schön und jung:

Aber mir erloschen die Gestirne,
Sank der Tag in öde Finsternis,
Als sich Molly dieser Welt entriß.
(S. 263)
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Die Unvergleichliche
Sonett

Welch Ideal aus Engelsphantasie
Hat der Natur als Muster vorgeschwebet,
Als sie die Hüll' um einen Geist gewebet,
Den sie herab vom dritten Himmel lieh?

O Götterwerk! Mit welcher Harmonie
Hier Geist in Leib und Leib in Geist verschwebet!
An allem, was hienieden Schönes lebet,
Vernahm mein Sinn so reinen Einklang nie.

Der, welchem noch der Adel ihrer Mienen,
Der Himmel nie in ihrem Aug' erschienen,
Entweiht vielleicht mein hohes Lied durch Scherz.

Der kannte nie der Liebe Lust und Schmerz,
Der nie erfuhr, wie süß ihr Atem fächelt,
Wie wundersüß die Lippe spricht und lächelt.
(S. 260)
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Verlust
Sonett

Wonnelohn getreuer Huldigungen,
Dem ich mehr als hundert Monden lang
Tag und Nacht, wie gegen Sturm und Drang
Der Pilot dem Hafen, nachgerungen!

Becher, allgenug für Götterzungen,
Goldnes Kleinod, bis zum Überschwang
Stündlich neu erfüllt mit Labetrank,
O wie bald hat dich das Grab verschlungen!

Nektarkelch, du warest süß genug,
Einen Strom des Lebens zu versüßen,
Sollt' er auch durch Weltenalter fließen.

Wehe mir! Seitdem du schwandest, trug
Bitterkeit mir jeder Tag im Munde.
Honig trägt nur meine Todesstunde.
(S. 262)
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Aus: Bürgers Gedichte.
Herausgegeben von Arnold G. Berger.
Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe
Leipzig und Wien 1891. Bibliographisches Institut




 

 

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