Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Karl Foy
(1856-1907)



Geschwätzig schwirrt die bunte Brut der Meisen
Von Blatt zu Blatt im dichten Zaun des Hages,
Doch ruhig, königlichen Flügelschlages,
In klarer Sonne liebt der Aar zu kreisen.

Die schaumentsprossnen Freuden des Gelages
Mag wohl ein bunt gefällig Liedchen preisen,
Doch Schönheit fordert ernste grosse Weisen.
Vor ihr verstummt das kleine Lied des Tages.

Ach! wer bin ich, dass ich die echten Töne
Aus seligem Gefild herniederzwänge
Und dich, du holder Abgrund solcher Schöne,

In nie veraltendem Gesang besänge?
Begehre nicht, dass dich mein Lob verhöhne!
Nimm stumme Liebe statt verworrner Klänge!
(S. 81)
_____



Entgangen mitten aus des Tags Gemeinheit,
Geborgen, wo uns keine Lauscher stören,
Lass mich dir wieder glühend angehören,
Und wieder weihe mich durch deine Reinheit!

Gedanken ruht, die mir den Geist empören!
Vergessen sei der engen Herzen Kleinheit!
Hier labt mich formverklärter Wunder Feinheit,
Die ewig reizen, aber nie bethören.

In dich ein Blick kann Sonnenschein mir geben,
Wenn mich die Sorgen schon umnachten wollen,
Die dräuend oft dies junge Haupt umschweben;

Des Wahnsinns Boten selbst, die Grauenvollen,
Sie mussten sich enttäuscht von dannen heben
Und schonten mein, um machtlos dir zu grollen.
(S. 82)
_____



Du Wunderbau, den ich in Wonne ehre,
Von zarter Linien Zaubernetz umschlungen,
Du schlanker Leib, dem Staube abgerungen,
Wie löst du meinen Geist aus seiner Schwere!

Mir ist, ich wachte auf aus Dämmerungen,
Wie Nebel fliehn der Grübeleien Heere.
Enthüllte Schönheit! Weisheit ohne Lehre!
Wie hast du Gier und Gram in mir bezwungen.

Wie könnt' ich kleinlich sein in deiner Nähe?
Vollendung wohnt bei dir in allen Zügen
Wie nirgends sonst, wohin ich immer spähe.

Noch muss dein blosser Anblick mir genügen.
Doch dann, o dann? Ja, wer die Zukunft sähe!
Verstumme, Herz, und lerne dich zu fügen!
(S. 84)
_____



Von deines Wesens namenloser Schöne
Hab' ich der süssen Sinnlichkeit vergessen.
Voll Andacht bin ich stumm vor dir gesessen,
Auf dass die Form mein doppelt Ich versöhne.

Mir war, als ob ein Engel unterdessen
Mein Haupt mit hellem Siegesschmucke kröne.
Kein heiss'rer Trieb soll mir der Sehnsucht Töne,
Soll mir der Seufzer Hauch hinfort entpressen!

In dir befreite Schönheit sich vom Leibe,
Dein Anblick löst mich aus der Sinne Schranken;
Dass ich des Geistes Schiff zur Höhe treibe,

Und ob auch Sternenuhr und Compass schwanken,
Du zeigst mir, wie ich in der Richte bleibe,
Das grosse Meer durchfahrend der Gedanken.
(S. 85)
_____


Aus: Lieder vom Goldenen Horn von Karl Foy
Leipzig Verlag von A. G. Liebekind 1888


 

 

zurück zum Liebessonette-Verzeichnis

zurück zur Startseite