Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Amara George-Kaufmann
(1835-1907)




In dunkeler, tiefmitternächt'ger Stunde
Lehnt einsam an dem Fenster eine Maid;
Trüb' ist ihr Antlitz, aber es verleiht
Ein Lächelzug noch eine zweite Kunde.

So Lust, wie Leid hegt ihres Herzens Wunde:
Erinnerung an eine süße Zeit,
Verlangen nach dem Freunde, der so weit,
Und Sehnen nach erneutem Wonnebunde.

Sie seufzet tief und blickt zum Himmel auf
Und sendet heiße Grüße in die Ferne,
Die sie vertraut der Wolke raschem Lauf;

Wie zöge sie mit ihr dahin so gerne,
Um heimlich nur den Liebsten anzuseh'n,
Und heimlich wieder von ihm wegzugeh'n.


Aus: Vor Tagesanbruch Erzählungen und Lieder
von Amara George Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 433)
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Du wirst nicht kommen - allzu bitt'res Wort,
Wie Tod so bitter und Vernichtungsharm!
Denn nur an Deiner Brust, in Deinem Arm
Ist meiner Sehnsucht stiller Ruheport.

Wie leid' ich ohne Dich, o Du, mein Hort,
Mein Einziger, wie krank bin ich, wie arm!
Ich möchte fort aus diesem Menschenschwarm,
Von diesem Orte, diesem schönen, fort.

Warum? - Es fehlet Deiner Augen Licht.
Wohin - Zu Dir? - Das darf und kann ich nicht,
Da spricht die Welt ein hartes, kaltes Nein.

Mit Welle, Wind und Wolke möcht' ich zieh'n,
Mit Deinem Bild in eine Wildniß flieh'n
Und sterben dort mit ihm und mir allein.

aus: Vor Tagesanbruch Erzählungen und Lieder
von Amara George Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 436)
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Süße Träume halten Dich umfangen,
Deine Wangen schmücken Schlummerrosen,
Auf den Lippen, auf den kecken, losen,
Schwebt im Schlafe noch ein schönes Prangen.

Anzuschauen nur sei mein Verlangen!
Nur die Seele soll, die reine, kosen,
Nur das Auge mit begierdelosen
Blicken an dem lieben Bilde hangen.

Da verwebt dem Traume sich das Leben,
Deine Lippe flüstert holde Laute,
Deine Glieder seh' ich leise beben,

Es erschließt Dein Auge sich, das traute.
Schweige, Lied, von dem, was im Entschweben
Noch der Träume flüchtig Heer erschaute.

aus: Vor Tagesanbruch Erzählungen und Lieder
von Amara George Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 447)
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