Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Friedrich Hebbel
(1813-1863)



Nachruf

O du, die ungern mir voran gegangen,
Wirst du wohl noch des Erdentraums gedenken?
Und fühlst du wohl, den Flug zurück zu lenken,
Zuweilen noch ein flüchtiges Verlangen?

Gewiß! Du kennst ja meiner Seele Bangen,
Wirst einen letzten Gruß ihr gerne schenken,
Dann aber wirst du auf dein Grab dich senken,
Denn dieß, du weißt es, hält mich stets gefangen.

Doch wenn du nun in nächtlich-heil'ger Stille
Hernieder schwebst, ein Lüftchen deine Hülle,
Was wird mir deine Gegenwart verkünden?

Ach, dieses, daß sich Gram und Wehmuth legen,
Daß Funken sich von neuer Wonne regen,
Denn deine Nähe nur kann sie entzünden.
(S. 203)
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An eine Römerin

Ich hab' als Kind gespielt im fernen Norden,
Dann bin ich weit und breit herum gekommen,
Und habe schon das dritte Meer durchschwommen,
Nun ruh' ich aus an seinen Blüten-Borden.

Dir ist ein schlichtes Mädchen-Loos geworden,
Wie eine Blume bist du still erglommen,
Dann hat, wie die der Strauß, dich aufgenommen
Als frischen Schmuck der fromme Jungfrau'n-Orden.

Nun geh'n wir Beide Hand in Hand zusammen,
Wie Gärtnerin und Schiffer traulich wallen,
Im kühlen Schatten dicht verschlung'ner Aeste;

Ich spreche dir von Sturm und Meeresflammen
Und schmücke dich mit Perlen und Korallen,
Du pflückst mir still der Gold-Orangen beste.
(S. 308)
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An eine edle Liebende

Du meinst in deiner Seele Dämmerweben,
Dir sei das Tiefste so gelös't in Liebe,
Daß dir nichts Eig'nes zu bewahren bliebe,
Drum willst du ganz und gar dich ihm ergeben.

O, thu es nicht! Es giebt ein Widerstreben,
So rein von jedem selbstisch-rohen Triebe,
Daß sich das Höchste still zu Nichts zerriebe,
Erschlösse dieß ihm nicht ein ew'ges Leben.

Und könntest du, im Edelsten erglommen,
Auch deines Wesens Form vor ihm vernichten -
Die Elemente bleiben, die sie waren!

So wird dein Opfer niemals ganz vollkommen,
Du kannst nicht völlig auf dich selbst verzichten,
Drum sorge du, dich ganz zu offenbaren!
(S. 317)
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Die Schönheit

Das Loos der Götter ist auch dir gefallen;
Denn du bist schön, du brauchst dich nur zu zeigen,
So wird sogar von Lippen, welche schweigen,
Wenn Jeder jauchzt, dir Lob und Preis erschallen.

Denn, die als unerreichbar vorschwebt Allen,
Die Harmonie, ist deinem Wesen eigen,
Wie sollte dich, wo du erscheinst, ein Reigen
Von trunkenen Verehrern nicht umwallen!

Zwar werden wir's nur schmerzlicher empfinden,
Wie viel uns mangelt, wenn wir auf dich schauen,
Allein du bist uns doch verwandt geblieben;

Drum dienst du, uns dem Höchsten zu verbinden,
Wir stehen ihm nicht länger fern mit Grauen,
Es tritt uns nah' in dir, wir können's lieben!
(S. 318-319)
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Die Verschmähte

Du liebst mich nicht! Wie sollt' ich länger leben!
Die Hoffnung, endlich in dein Herz zu dringen,
Erhielt mich, doch es wird mir nie gelingen!
Ich fühl's, und dieses muß den Tod mir geben.

Er naht mir schon, ich seh' ihn ohne Beben,
Er wird zurück mich zu der Mutter bringen;
Doch kann ich nicht den letzten Schmerz bezwingen,
Und mit mir selbst erst wird er ganz verschweben!

O, wär' ich, statt mit buntem Staub umkleidet,
Als stummes Traumbild vor dich hingetreten,
Du hättest heiß das Dämmernde umschlossen!

Ich ward dir dadurch, daß ich war, verleidet,
Du hättest sonst mich selbst von Gott erbeten,
Und ich in deinem Wunsch mein Glück genossen!
(S. 319)
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Mann und Weib

Dem Weibe ist ein schönes Loos beschieden,
Was sie auch hat, sie hat es ganz und immer,
Sie freut sich an des fernsten Sternes Schimmer,
Allein sie schließt sich ab in klarem Frieden.

Der Mann wird nie so sehr vom Glück gemieden,
Als er es meidet, denn er faßt es nimmer,
Gleichgültig, wird es besser, wird es schlimmer,
Er hört nicht auf, das Dasein umzuschmieden.

Ihr ist es, wie ein zugeworf'ner Faden,
Sie hält sich d'ran, und schaudert vor den Wogen,
Die unten dräu'n, und trinkt des Himmels Lüfte.

Er widersteht nicht, sich im Meer zu baden,
Und forscht, vom hellen Leben abgezogen,
Ob Gott sich nicht verbirgt im Schooß der Grüfte.
(S. 321)
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Das Heiligste

Wenn Zwei sich in einander still versenken,
Nicht durch ein schnödes Feuer aufgewiegelt,
Nein, keusch in Liebe, die die Unschuld spiegelt,
Und schaamhaft zitternd, während sie sich tränken;

Dann müssen beide Welten sich verschränken,
Dann wird die Tiefe der Natur entriegelt,
Und aus dem Schöpfungsborn, im Ich entsiegelt,
Springt eine Welle, die die Sterne lenken.

Was in dem Geist des Mannes, ungestaltet,
Und in der Brust des Weibes, kaum empfunden,
Als Schönstes dämmerte, das muß sich mischen;

Gott aber thut, die eben sich entfaltet,
Die lichten Bilder seiner jüngsten Stunden
Hinzu, die unverkörperten und frischen.
(S. 322)
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Aus: Friedrich Hebbel Sämtliche Werke
Historisch-kritische Ausgabe
besorgt von Richard Maria Werner
Sechster Band: Dramen VI. Demetrius (1864)
Gedichte I. Gesamt-Ausgabe. 1857 - Gedichte II.
Aus dem Nachlaß. 1857-1863
Berlin B. Behr's Verlag 1904



 

 

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