Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Max Herrmann-Neiße
(1886-1941)



Orgie

Wir tappen tief durch Raps und Röhricht
Und Sumpf und Säume von wilden Wiesen
Und fallen nach Faltern und tuscheln töricht
Und narrn uns mit Mohnsam und müssen niesen.

Und wühlen uns wütend in Haufen Heues
Und juchzen und johlen wie fröhliche Fohlen
Und streifen ab unser Schwaches und Scheues
Und kreisen kreischend wie wehende Dohlen.

Spinnen kriechen uns über den Mund.
Ähren kitzeln keck unsre Nasen.
Mücken zerstechen uns Hals und Nacken.

Närrisch umbellt uns der kleine Hund.
Trunken wälzen wir uns auf dem Rasen,
Prustend wie Pane mit blühenden Backen.
(Band 1 S. 122)
_____



Herbstsonett für Leni

Nimm diese Demut von mir, die mich tötet,
Und diesen Herbst, der meinen Mut umhürdet:
Mir ist der Garten fremd, den Weinlaub rötet,
Und meine Seele steigt mit Leid bebürdet

Hinauf zur Kammer, die ihr mir erhöhtet
Zu einem Heiligtum - (die doch mich hürdet!) -
O daß ihr euch - wie einst - mir wieder bötet
Und mir zum Heiland meiner Schwermut würdet,

Ihr Farben und des Weges weicher Strich
Und Sonne, die du wundersamer scheinst
Durch holde Schleier duftig hingebreitet!

O und in allem zeigst und schenkst du dich
Und machst mich stolz und reich und reif wie einst,
Daß meine Liebe wie durch Frühling schreitet!
(Band 1 S. 145)
_____


Überwunden

Wenn zwischen uns der Zweifel schleicht,
Zerwürfnis droht, Betrübnis droht,
daß jedes in der eignen Not
einsames Dickicht totwund weicht;

wenn keiner auf des andern Wort
des Herzens Schlag mehr hören mag,
mein Blick will fort, dein Blick will fort,
schon dämmert blaß ein Jüngster Tag;

wenn alle Sehnsucht sterben will,
wenn alle Zukunft sterben will,
Erinnrung wird sich selber Gift:

dann unverwüstlich wunderbar
wird deiner Liebe Wunder wahr,
die sich unsterblich übertrifft.
(Band 1 S. 249)
_____



Der Liebe Requiem

Der Liebe Lied erlöst mich nun nicht mehr:
als läge Nebel über meinen Schritten,
wird mir aus Tag und Abend Wiederkehr
der ewig ungestillten Kinderbitten.

Der Liebe Leid erhebt mich jetzt nicht mehr:
als sei die Schwinge meines Werks zerschnitten,
bleib ich am Boden, schwach und unmutsschwer,
Flöte und Fackel sind der Hand entglitten.

Der Liebe ist nur dieses noch vergönnt:
Daß sie mein überzähliges Verbleiben
der Qual endlosen Dämmerns jäh enthebt.

.. Vielleicht auch: meinen Namen aufzuschreiben,
daß ihr aus meinem Gleichnis fühlen könnt,
wie sehr dies Lüge ist, daß ihr noch lebt.
(Band 1 S. 335)
_____



Du bist Erfüllung leuchtender Legenden

Wie Du sänftigst meiner Seele Stürme,
läßt den Abgrund meiner Nerven blühn,
führst mein Dunkles auf die Morgen-Türme,
wo die Wälder weit zu Gott verglühn,

wie Du meine schwersten Wochen leidest,
und Dich opferst für mein Auferstehn,
Dich von allem, was Dich schön macht, scheidest,
wenn es meine Augen nicht mehr sehn,

wie Du weiß in Abendwiesen schimmerst,
daß mein Herzweh keinen Stachel hat,
wie Du all Dein Glück für mich zertrümmerst:

solche Liebe wird in den Legenden
einer zukunftshohen Sternenstadt
ihres Gottes Testament vollenden.
(Band 1 S. 343)
_____



Erlösung

Wie ich dich einst zum ersten Male sah,
seitdem wir Liebenden uns nie verließen,
bist du mir, eh sich meine Augen schließen,
noch einmal über alle Jahre nah.

Des alten Baches sanfte Wasser fließen,
und es geschieht mit mir, was einst geschah:
die Welt ist nur um deinetwillen da,
und jede Welle will dein Bild genießen.

Ich bin ein junges Grün am Uferrande
von deiner weichen Zärtlichkeit gestreift,
noch zweifelnd, ob ich je dich wiedersehe.

Ein kleines Lächeln läßt du mir zum Pfande,
und wie mein Schreck nach deinem Schleier greift,
ist es: daß ich schon eins mit dir vergehe.
(Band 1 S. 405)
_____



Sonett eines himmlischen Spiels

Dann blühte uns aus Tragik und aus Tränen
ein Spiel, so lustig wie der junge Wind:
Wir schlugen Flammen, wurden wieder Kind
und ließen uns versprühen in Fontänen.

Und ganz voll Leichtigkeit, wie Engel sind,
auf Wolken schaukelnd in umkränzten Kähnen
und Blitze schnellt das Weiß von ihren Zähnen,
so machten wir uns schwebend und geschwind.

Und deiner Stimme leuchtende Musik
warf Wellen hoch und tanzte über Schwerter
und stürmte flackernd durch den Sternenfall.

Da wurde meine Lust ein bunter Ball,
den zaubertest du immer wunderwerter,
daß er mit dir in alle Himmel stieg ...
(Band 3 S. 143)
_____



Ich träume dir nach ...

Und immer bin ich so von dir ergriffen
im Allertiefsten und für alle Zeiten!
Du gingst ... Ich träum' dir nach ... Mir glänzt dein Gleiten
ganz nah, wie heimlich in mein Glas geschliffen.

Ich sehe dich die weißen Glieder breiten
wie Möwen ihr Gefiedert über Schiffen;
und plötzlich hab ich meinem Hund gepfiffen
und singe ihm von deinen Zärtlichkeiten.

Von unten zuckt aus Zoten Biergekreische,
und auf der Straße fließen zwei und zwei
sich immer wieder in die fahlen Fleische.

Verfänglich hinter Fenstern schaukeln Schemen,
und Katzen schrillen Liebesraserei. -
Ich träum' dir nach ... und sink' in Chrysanthemen ...
(Band 3 S. 192)
_____



Sonett von unserer Erlösung

Du hast uns, mein Gott, so mit Angst umgittert
und mit den Gruben des Grauens umstellt,
hast den Speer meines Spottes zersplittert
und meine schamlosen Gesten zerschellt.

Unsre Lippen haben gezittert,
jedes gute Wort klang vergällt,
Dank war verdammt und Bitte verbittert
und unsre Birken lagen gefällt.

Aber der Blitz, der die Kronen zerkrachte,
hat auch ins Tiefste den Himmel erhellt:
als unsre Liebe vom Alptraum erwachte,

schenkte sich uns eine neue Welt:
und wir fühlten in Leiden umfriedet,
Herz an Herz unlösbar geschmiedet!
(Band 3 S. 232)
_____



Wir bleiben vereint unterm Dach der Gedanken
(Für Leni, Pfingsten 1916)

Warum, durch innigen Liebeszwang vermählt,
verwunden wir uns doch bis zur Verzweiflung oft;
warum wird jener Himmel, den sich Herz von Herz erhofft,
zur Zwietracht, wo der Leidende durch Leiden quält?

Da mich die Welt in Todesängste treibt,
wehr' ich mich jäh, und meine Waffe trifft - dein Angesicht!
Einsamster Schrei in Reue: "Wenn dich meine Wut zerbricht,
weiß ich nichts, was mir noch vom Leben bleibt!"

Verschwistert sind im Innersten die Ranken
untrennbar ineinander, und es wohnt
das gleiche Wort uns schöpferisch im Blute.

Ewig vereint das Dach uns der Gedanken,
mit Liebeslust wird Liebesnot belohnt,
und das Vermorschte loht zu jungem Mute.
(Band 3 S. 283)
_____



Mein Leben wird in deiner Liebe münden

Nun sind wir vor des neuen Jahres schwarzem Wall
hilflos allein gelassen. Tut kein Tor sich auf?
Führt uns kein Stern zu Bethlehems verklärtem Stall!
Wo landet dieses zweifelhaften Flusses Litaneienlauf?

Geht jemals auf entrückten Gipfeln Geist
vom Geiste grenzenloser Ewigkeit mit mir?
Bleibt Frühling hoffnungsleer und Winter traumverwaist
und Tag und Nacht brüllt der vergessene Opferstier?

Doch wem ein Gott ein ganzes Glück vergönnte
- und sei's nach tausend Jahren Jammers -, diesem ließ
in dir sein Evangelium er verkünden.

Wo anders als in deiner Liebe könnte
mein Leben landen! Und im Paradies
der Unverwelklichkeit mit deiner Liebe münden!
(Band 3 S. 302)
_____



Mit dir

Nur daß ich meiner Liebe Glück schon ahnte,
verlockte mich in dieses Lebens Wahn;
was mich ein Meeresschoß zu bleiben mahnte,
verwarf ich, deiner Schönheit untertan.

Sonst dämmerte ich in den Dunkelheiten
des ewigen Vergessens, strömte still
im Nebelozean der Nachtgezeiten,
vollkommen, wie mein Gott, ihm gleich, mich will.

Doch irdisch unvollkommen in den engen
Vergeblichkeiten dieser Welt zu stehn,
gelüstete mich mehr, weil du es teilst.

Weil mich der Flug zu himmlischen Gesängen
nur glücklich macht, wenn deiner Schwingen Wehn
ihn führt und du an meinem Herzen weilst.
(Band 3 S. 309)
_____



Wie du sänftigst meiner Seele Stürme,
läßt den Abgrund meiner Nerven blühn,
führst mein Dunkles auf die Morgentürme,
wo die Wälder weit zu Gott verglühn,

wie du meine schwersten Wochen leidest
und dich opferst für mein Auferstehn,
dich von allem, was dich schön macht, scheidest,
wenn es meine Augen nicht mehr sehn;

wie du weiß in Abendwiesen schimmerst,
daß mein Herzweh keinen Stachel hat,
wie du all dein Glück für mich zertrümmerst:

solche Liebe wird in den Legenden
einer zukunftshohen Sternenstadt
ihres Gottes Testament vollenden.
(Band 3 S. 313)
_____



Daß du mich liebst, hat dir nur Leid gebracht:
nun liegt dein Leben hoffnungslos entlaubt
im leeren Angstplan einer bösen Nacht,
verloren büßend, weil es an mich glaubt.

Weil es mir durch Zertrümmerung und Not
das Sternenantlitz neigt, das Stürme stillt -
Vernichtung reißt der Flammenfahne Rot
auf jedes bethlemitische Gefild.

Du aber gabst für jede Stunde Furcht,
die ich dir schuf, mir tausendfältig Frieden
zurück und bringst dein Herz als Opfer dar.

Und deine Stirn, von meinem Gram zerfurcht,
hat einen weihnachtlichen Christaltar
mir noch zuletzt als Obdach stets beschieden.
(Band 3 S. 313-314)
_____



Lockt mich auch des Lebens Abenteuer,
fremder Frauen Duft und Rätselblick,
sehnt mein Dichterwahn sich auch nach neuer
fabelhaft vielfältiger Musik,

will ich oft der eignen Pflicht entfliehen,
jeder Form, die mich eindeutig bannt,
und im Sturm von Zaubermelodien
- nicht zu fangen - wehn von Land zu Land,

immer neu geboren, neu geborgen,
daß sich Blüte neu aus Blüte treibt,
lockt mich auch ein immer neuer Morgen:

Alles Chaos endet doch in deinen
Zärtlichkeiten, und Erfüllung bleibt
unsrer Herzen großes Sichvereinen.
(Band 3 S. 314-315)
_____



Ich vertraue dem Wunder (das nie geschieht?),
ich vertraue dem Traum (der jeden noch trog?),
fehlt deiner Seele der Glaube, der Wunder sieht,
war das dein Zagen, das meinem Traum sich entzog?

Ich vertraue dem Wunder - ob es geschieht? -
Dich zu finden im Haus unsrer Liebe? ... Du gingst!
Ist es dein Zagen, das meinem Traum sich entzieht!
Ach daß du stark wie Maria den Engel empfingst!

Ich vertraue dem Wunder ... Das Haus unsrer Liebe
liegt verlassen, und mich erwartet kein Trost,
der aus zärtlichen Augen das Leben erhellt?

Ich vertraue dem Wunder, dem Wunder der Liebe!
Und du kehrst mir zurück, und daß du entflohst,
bleibt nur ein böser Traum ... Und wir segnen die Welt.
(Band 3 S. 315)
_____


Aus: Max Herrmann-Neiße Gesammelte Werke
Herausgegeben von Klaus Völker
bei Zweitausendeins 1986/87
Band 1: Gedichte 1 Im Stern des Schmerzes
Band 2: Gedichte 2 Um uns die Fremde
Band 3: Gedichte 3 Schattenhafte Lockung
Band 4: Gedichte 4 Mir bleibt mein Lied



 

 

zurück zum Liebessonette-Verzeichnis

zurück zur Startseite