Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Georg Herwegh
(1817-1873)



Sonett XXXIX.

O heiss' mich nicht von Deinem Antlitz fliehn,
Auf dem der Liebe heilige Gedanken
Gleich goldnen Sternen auf und nieder schwanken,
Die still und furchenlos am Himmel ziehn!

Hier ist mein Tempel und hier will ich knien,
Um diesen Altar meine Arme ranken,
In diesen Armen meinen Göttern danken,
Daß sie mir ihre Seligkeit verliehn!

Bist Du, mein Herz, selbst wider dich im Bunde?
Was soll der volle schäumende Pokal,
Was die Unendlichkeit dem Mann der Stunde?

Begehre nicht die Herrlichkeit zumal!
Bitt' um Ein Wort nur aus dem lieben Munde,
Ein halbes Lächeln, Einen Sonnenstrahl!
(S. 78)
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Sonett XL.

Ob die Locken eine Glorie quellen
Um Dein Antlitz und Du himmlischmild
Auf mich blickst, ein stumm Marienbild,
Das zwei blaue Sterne fromm erhellen,

Ob Dein Haar in ungebundnen Wellen
Um den Nacken flutet, stolz und wild,
Und Dein Aug' ein harter Demantschild,
Dran die kühnsten Wünsche jach zerschellen;

Ob ich sehe mit dem Heil'genscheine
Dich, ob mit des Unmut's düstrer Falte,
Ewig, ewig fleh' ich nur das Eine:

Daß Dein schöner Mund doch nie erkalte,
Daß Dein schönes Auge niemals weine,
Und mir Gott Dein schönes Herz erhalte.
(S. 78-79)
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Sonett XLI.

"Eins - zwei - drei - vier - nun, eine hübsche Schar!
Mein guter Freund, Ihr treibt das Ding ins Große;
Heut' ist es diese, Morgen jene Rose:
Mit Eurem Herzen steht es sonderbar."

Der Dichter ist der Sultan Scheriar,
Und liebt, wie dieser Herr, das Grandiose;
Der ruht' auch zweimal nie im selben Schoose,
Bis er Scheherezaden ward gewahr.

Ich sah wohl manch ein schönes Angesicht,
Das ich besungen und belobt; nur schade,
Das, was ich suchte, war es immer nicht.

Und Alles, Alles mord' ich ohne Gnade,
Was meinem Ideale widerspricht:
Wann kommst Du endlich, o Scheherezade?
(S. 79)
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Sonett XLII.

Ich thue Jedermänniglich zu wissen,
Daß ich den finstern Unmut sehr bereue
Und mich von Herzen meines Lebens freue,
Daß ich erlöst von allen Kümmernissen.

Mein liebes Fischchen hat nun angebissen
Und schwört mir über alle Maßen Treue,
Es herzt und herzt und herzt mich stets aufs Neue,
Und drückt mich schmeichelnd in die Sophakissen.

Ich lad' Euch, meine Freunde, sämmtlich ein,
Mir eine frohe Stunde 'mal zu schenken;
Doch laßt mir dann die tolle Frage sein:

Wann wir uns wohl zu ehlichen gedenken?
So lange noch der ganze Himmel mein,
Will ich mich nicht auf Haus und Hof beschränken.
(S. 79-80)
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Weil eine Schaar von schwarzen kleinen Raben
Ihn nach dem Falle jauchzend wird umgeben,
Soll d'rum der Adler an dem Boden kleben
Und sein Genüge an der Erde haben?

Soll er sich nicht im Aetherpurpur laben
Und mit den Sonnen in die Wette schweben?
Die Sterne unter seinen Fittig heben?
Nein - Schafe hüten mit den Hirtenknaben?

Nur kühn gefolgt des Herzens kühnem Triebe!
Vor'm Sturze nicht gebangt! Frei, immer freier!
Nie zahlte Liebe ihren Flug zu theuer!

Und Liebe wird geheiligt nur durch Liebe!
Wenn vor der Sonne Glut die Knospen brechen,
Sahst du den Priester je den Segen sprechen?
(S. 203)
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Allen Verliebten

So jammert doch nicht Euer halbes Leben,
Wenn jede Gunst sie kärglich Euch versagen
Und Euren Seufzern lose Schnippchen schlagen,
Wenn Eurer Liebe sie sich überheben.

Es kommt die Nacht - da hilft kein Widerstreben,
Und ob sie brüstend sich am Tag getragen,
Ihr brauchet sie nicht länger mehr zu fragen,
Die stolzen Damen müssen sich ergeben.

Sie spottet meiner zärtlichsten Sonette
Und jeder meiner kunstgerechten Schlingen,
Ich legte leichter Tiger an die Kette.

Doch Alles, Alles muß dem Traum gelingen,
Der schleicht sich leise nächtlich an ihr Bette,
Um mir ein Lamm, ihr wildes Herz zu bringen.
(S. 213-214)
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Zur Hochzeit

Ich will mir eine Narrenjacke machen,
Daß ich geglaubt, geliebt, gehofft noch gestern;
Es spotten mein die Vögel in den Nestern,
Ich sehe ringsum alle Blumen lachen.

In Scherben all die tausend hübschen Sachen!
Mit Fingern deuten auf mich Deine Schwestern,
Wer will mich hindern, meinen Stern zu lästern,
Der schlafen ging, just, als es galt, zu wachen?

Doch nein - das Aug', das mich so oft beglückt,
Will, treulos auch, mich noch zu Thränen rühren;
Ich fühle jeden Groll mir fern gerückt.

Nimm hier dieß Lied - es mag Dir wohl gebühren.
Man hat die Opfer jederzeit geschmückt
Und soll auch Dich bekränzt zum Altar führen.
(S. 214-215)
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Ihre Heimkehr

Sie ist's! Sie ist's! Der Wagen hält am Haus.
Schon sind die kleinen Füßchen ausgestiegen,
Sie schaut herauf, und ihre Blicke fliegen
Gleich Boten meiner Seligkeit voraus.

Da ruht am Herzen mir der ganze Strauß,
Ich darf mich wieder auf den Lilien wiegen,
Ein trunkner Falter an den Rosen liegen,
Und auch die Schlangen blieben mir nicht aus.

Ich halte wieder sicher sie umschlungen,
Es hat in alter treuer, lieber Weise
Mich ihre holde Gegenwart bezwungen.

Was ist mir, doch als hört' ich leise, leise
In meiner Seele flüstern böse Zungen:
"Dein Mädchen ist noch immer auf der Reise!"
(S. 215)
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Dem philosophischen Nebenbuhler

Wir steh'n zu Zweien um Ein Weib in Gluten,
Um das wir gegenseitig uns vernichten
Und schonungslos einander splitterrichten,
Das wollte mir schon längst nicht mehr gemuten.

Mein theurer Freund und Freund des Absoluten,
Du möchtest jede Form zum Geiste lichten,
Ich jeden Geist zur schönsten Form verdichten,
So höre meinen Vorschlag denn zum Guten!

Trink' ihr unsterblich Theil in vollen Zügen,
Magst Du der Schönen schöne Seele speisen
Und Dich am ewigen Begriffe laben;

Ich will mich mit dem Sterblichen begnügen,
Und herzhaft in den frischen Apfel beißen,
Sollt' ich auch Morgen Nichts als Asche haben.
(S. 216)
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Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006




 

 

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