Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Ricarda Huch
(1864-1947)


Eros

Vom Sturm getragen zieht der Frühling ein,
Er zürnt der Flur, die lang ihm widerstanden;
In der gepeitschten Wellen stürmisch Branden
Stöhnt und frohlockt der wetterschwangre Hain.

Noch flieht die Erde trotzig dem Verein,
Doch ahnt sie schon die Freuden, die ihr schwanden,
Und zu den alten, den geliebten Banden
Drängt sie tief innen aus des Todes Schrein.

So, Eros, zogest du einst in mein Herz.
Auf Wolken donnerte dein Siegeswagen,
Und willig trug ich deinen großen Schmerz.

Ich wähnte, wie nach stürmevollem März
Die Fluren wieder bunte Blumen tragen,
So würd' auch mir dereinst ein Maitag tagen.
(S. 137-138)
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Die Walküre

Ich hasse deiner lieben Lippen Rot
Und deines Herzens siegesfrohes Schlagen;
Mein Schild will meinem Liebling sich versagen:
Ich, die Walküre, werbe dir den Tod!

Mich scheidet Wodans ewiges Gebot
Von Gattenliebesglück und Friedenstagen;
Nur todeswund darf ich im Arm dich tragen,
Von Schwerterklang und Lanzenwurf umdroht.

O zürne nicht, daß ich mir dich erfleht!
Sieh, während sacht mein Flügel dich umweht,
Wenn wir in Wolken nach Walhalla schweben,

Und meine Sehnsucht in dir untergeht,
Soll meiner Küsse Hauch dir wiedergeben
Die Süßigkeit von hunderttausend Leben.
(S. 181)
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Ich bin dein Schatten, du bist, der mich schafft,
Du gibst Gestalt und Maß mir und Bewegen.
Mit dir nur kann ich heben mich und legen,
Ich dein Geschöpf, du Willen mir und Kraft.

Dir angeschmiegt bin ich in deiner Haft,
Wie die von Ketten schwer den Fuß nicht regen.
Was du mir tust, ich kämpfe nicht entgegen,
Durch dein Gebot belebt und hingerafft.

Doch bin ich dein, auch du gehörst der Deinen.
Du kannst mir nicht entfliehn, dich neu gewänn ich,
Mich nicht verstoßen, neu würd ich erkoren.

Solange Sonn und Sterne dich bescheinen,
Siehst du zu deinen Füßen unzertrennlich
Die Liebende, für dich aus dir geboren.
(S. 237)
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Wie ein Satrap den Leib der Braut sich schmückt,
Daß er erschimmert unter Goldgehängen,
Ein atmend Bildwerk, so mein Fleisch verdrängen
Die Küsse, die dein Mund ihm eingedrückt.

Ambrosisch ward, das du in Glut getaucht,
Mit Tränenschnüren hundertfach umschlungen,
Das du gebadet hast in Liebkosungen,
Darin dein Atem seinen Duft verhaucht.

Es altert nicht und wird dir nie gemein,
Entwürdigt durch der Jahre steten Druck.
Die Zeit muß dienend meinen Leib verschönen:

Je süßer leuchtet sein verliehner Schein,
Je reicher ihn verhüllt der Liebe Schmuck,
Und deine Gnaden seine Demut krönen.
(S. 239)
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Wie sich der Frühling opfernd vor der Sonne
Auf Hügeln, süß von Weihrauch, selbst verzehrt,
So geb ich dir, o Herr, der mich begehrt,
Die deinem Blick erschloßne Liebeswonne.

In deine Flamme warf ich meine Blüte.
Dein göttlich Feuer stürmend schnell genießt
Den zarten Flor, der mir vom Herzen sprießt:
Mich selber denn, da du mich liebst, behüte!

Laß nach, o Glut, daß ich nicht sterbe! Längst
Mit immer neuen Opfern dich verehrend,
Hab ich, was mein war, deinem Wunsch gegeben;

Verlange nicht, daß du mich ganz empfängst,
Mein Leben auch. - Du schütteltest verwehrend
Das Haupt und sprachest: Liebe! wozu leben?
(S. 240)
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Du warst in dieser götterlosen Zeit,
Wo trübe Träumer ohne Lichtgedanken
Wie leere Schiffe unterm Himmel schwanken,
Der Stern, der mich geführt hat und gefeit.

Die Spur, die du gegangen zu betreten,
Daß ich nicht irrte, war mein hohes Ziel.
Von irdischen Geschäften, Drang und Spiel
Trug mich empor das Glück, dich anzubeten.

Wie nachts ein Segel steuernd heimatwärts
Der Leuchte zu die schweren Nebel spaltet
Und so gelenkt sich in den Hafen rettet,

Ging ich getrost, den Blick an dich gekettet,
Die Hände gläubig auf der Brust gefaltet,
Durch Flut und Dunkel an dein strahlend Herz.
(S. 241)
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Du führtest mich zuerst ins Heiligtum
Zu lichter Götter Bildern und Altären,
Du lehrtest, was sie weigern und gewähren,
Der Menschen Schicksal und der Helden Ruhm.

Du schmolzest sanft mit langem Liebeskuß
Der Kindheit Siegel mir von Mund und Augen,
Und ließest mich von deinem Blute saugen,
Zu meiner mischend deiner Seele Fluß.

So ward mein Blut, Geliebter, dir leibeigen,
Von einem Quell des deinen unterjocht,
Der es mit Sehnsucht nach sich selbst entzündet.

Nach dir muß es verlangen. stürzen, steigen,
Bis es im Meere deines Herzens mündet,
Und gleichen Schlag mit seinem Schlage pocht.
(S. 242)
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Geliebter Herr, du tauftest mich mit Feuer,
Die zu beseligen du auserkoren,
Daß ich aus eignen Schmerzen neugeboren
Dir auferstände reiner, stärker, treuer.

Nicht daß du früher minder mich gewertet,
Für mich nur tilgend, was du kaum getadelt.
Wie Gold im Flammenbad sein Wesen adelt,
Ward meiner Art Gebrechlichkeit gehärtet.

Verbargst du dich mir einst in strengen Falten,
Nun gib, Geliebter, deine Liebe ganz!
Nicht brauchst du fürder dich zurückzuhalten.

Ergieße Sehnsucht, Inbrunst, Glut und Glanz!
Mein Herz empfängt die tödlichen Gewalten,
Wie ein vergöttert Haupt den Sternenkranz.
(S. 242)
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Die Sage weiß von eines Brunnens Tugend,
So fruchtbar und geheimnisvoll erlaucht,
Daß er den Greis, der wankend untertaucht,
Verwandelnd schmückt mit neugewirkter Jugend.

Sieh, wie der Leib, der seiner Kraft vertraut,
Sieh selig hebt aus den erglühten Wogen,
Von ihrer Inbrunst schwellend vollgesogen,
Mit frischen Lebens Morgenrot betaut,

Bald an sich selbst, bald an der Welt sich weidet,
Die Arme breitend nach der Frühlingsflur,
Mit wundertätgen Tropfen sie befeuchtend,

So wenn mein Herz aus deinen Armen scheidet,
Grüß ich verjüngt die lachende Natur,
Von deiner Kraft und deiner Schönheit leuchtend.
(S. 243-244)
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Dir fern und ferner, deiner nicht gedenkend,
Verhehlend was einst Glück war, Stolz und Ehre,
Ging ich durch Täler, über Berg und Meere,
In Schutt und Schlamm die müden Füße senkend.

Doch du gingst mir zur Seite unsichtbar,
Von deinem dunklen Blick war ich umfangen.
Dein Atem hauchte mild um meine Wangen,
Daß ich verlassen doch dein eigen war.

So gleitet still der Tod, dem wir gehören,
Um unsre Schritte, die sich von ihm wenden,
Und wenn verhüllt von blendend bunten Flören

Das Auge noch im Kram des Lebens wählt,
Ruht unsre Seele in des Gottes Händen,
Des treusten, dem von Anfang sie vermählt.
(S. 244)
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Wie aus des Ostens Dunst im Siegeswagen
Die Sonne rollt an des Regierers Statt,
Geschöpf und Herr, in eigner Fülle satt,
Von selbsterzeugter Flamme Kraft getragen,

Und wie was Lebendes ihr zugewendet,
Das falbe Blatt, das ihre Strahlen greift,
Die Frucht, die still im Safte kochend reift,
An ihrem Übermaße sich vollendet,

So gehst du sonder Makel sonder Gleichen,
Ein Siegender auf unbegangner Bahn
Gelassen durch der Menschenwelt Getriebe;

Und was wir ahnen als der Gottheit Zeichen,
Machst du erkennbar allen, die dir nahn:
Vollendung, deren Widerhall die Liebe.
(S. 244-245)
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Wie sich die Erde scheidend von der Sonne
Mit hastgem Flug in stürmsche Nacht entfernt
Den nackten Leib mit kaltem Schnee besternt,
Verstummt, beraubt der sommerlichen Wonne.

Und tiefer sinkend in des Winters Schatten
Sich plötzlich nähert dem, wovor sie flieht,
Mit Rosenlicht sich warm umschlungen sieht,
Entgegenstürzend dem verlornen Gatten,

So ging ich, leidend der Verbannung Strafe,
Von deinem Antlitz fort ins Ungemach,
Dem öden Norden schutzlos zugewendet,

Stets tiefer neigend mich dem Todesschlafe,
Und wurde so an deinem Herzen wach,
Von morgenroter Herrlichkeit geblendet.
(S. 245)
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O schöne Hand, Kelch, dessen Duft Musik,
Wie Töne schweben geht der, den du führst,
Melodisch wird der Stein, den du berührst,
Wenn sie dich einhüllt, wird die Luft Musik.

Du tust dich auf, um Wohllaut zu verschwenden,
Der ordnet, was Gewalt und Wahn verwirrten,
Und Seelen, die auf Erden sich verirrten,
Hinüberlockt, wo Wunsch und Zweifel enden.

O Hand, Gebieterin der Töne, bleib
Auf diesem Herzen ruhn, das ruhlos schwingt,
So wandelst du in Frieden sein Verlangen.

Dämonische, berühre diesen Leib,
Er bebt wie Saiten, wird ein Meer und klingt
Und rauscht empor, die Sonne zu empfangen.
(S. 246)
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Wie eines Königs Hand Berührtes adelt
Und tilgt vom Henker selbst den Blutgeruch,
In Ehre wandelnd seines Amtes Fluch,
Daß köstlich wird, was man zumeist getadelt,

So, wenn du stürbest, würde Tod mir teuer,
Vor allen Göttern nun erflehter Gast,
Des Name wie des Teufels sonst verhaßt,
Mir Feind und Fratze war und Ungeheuer.

Das Leben, dem noch immer Früchte reifen,
Das noch zu Festen hoch die Fackel hält,
Ich hieß es schal, zum Possenspiel entartet,

Das schöne Leben! froh es abzustreifen,
Dem Purpur gleich, der unbeachtet fällt,
Wenn auf dem Hochzeitsbett die Liebe wartet.
(S. 247)
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Die Erde, von des Himmels Macht umrundet,
Ein goldner Keim gesenkt in seinen Schoß,
Empfängt von ihm ihr heilges Sternenlos,
Von ihm gespeist, erwärmt, umwölkt, verwundet.

Mag er ihr zürnen, ihr Verschmachten stillen,
Mit Lorbeer sie bekränzen, Reb und Myrte,
Ob er mit eisgen Stacheln sie umgürte,
Sie hüllt sich innig ein in seinen Willen.

O du, in dessen Brust gesenkt ich liege,
Mein Schicksal nehm ich an von deiner Güte
Und segne Glück und Weh, das du verhängst.

Du warst, Geliebter, meines Lebens Wiege,
Du bist das Grab, wo ich mein Hoffen hüte,
Bis du mein Himmel wirst und mich umfängst.
(S. 247)
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Um diese Hügel, die dem Blick entgleiten,
Schwankt nun der Abend, müde, grau und feucht.
Still schwinden Haus und Baum und stehn verscheucht
Und gramvoll schwer in den Vergessenheiten.

Unendlich Weinen löst den Tag in Weh.
Der Schnitter rauschend Werk, die vollen Stunden,
Das Tanzen, Schwärmen, Lieb und Wahn und Wunden,
War's heute? War's vor Jahren? War es je?

Dies ist die Stunde, wo im fernen Land,
Wenn's ruhlos pocht aus deines Daches Röhre,
Und all den Uhren schnell die Zeiger summen,

Und das Begrabne lebt und huscht im Sand,
Du meinen Namen rufst und ich nicht höre.
Und hört ich's, müßt ich schaudern und verstummen.
(S. 248)
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Sieh mich, das Meer, das dir zu Füßen brandet,
Laß dich umschlingen, küssen, schmelzen, komm!
Wie Well um Welle stürmend dich erklomm,
Bist du ein Gott, in Element gewandet.

Laß deinen Leib von meinem Leib umgleiten!
Kein Flor, kein Hauch, kein Strahl mehr, der uns trennt.
Nur du, nur du, soweit der Blich erkennt,
Umbraust vom Mantel meiner Zärtlichkeiten.

Den Ozean, den ihre Glut durchdrungen,
Verläßt die Sonne, und mit Huld zerstörend
Tilgt ihre Schönheit die geballte Nacht.

Du laß die Welt in ewgen Dämmerungen!
Geduldger Andacht Ungestüm erhörend
Begrabe dich in meine Liebesmacht.
(S. 248)
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An unsrer Seite geht Erinnerung
Und flicht des Weges Zier zu Kranzgewinden.
Wie Bienenflug um sommerliche Linden
Summt süß Musik von ihrer Füße Schwung.

Vom Schmelz der Dinge schimmern ihre Hände,
Sie hüten erd- und meerversunknen Hort.
Er hebt und rührt sich auf ihr weckend Wort
Und funkelt jung wie Tau in das Gelände.

Nicht Blumen sind's, was sie zum Kranz gelesen;
Sie sammelt Saat des Lebens, das verging.
Aus neuer Hoffnung, längst versiegten Zähren,

Verschmiedend glühend Heut und starr Gewesen,
Biegt unser goldnes Leben sie zum Ring,
Daß es unendlich kreist in ewgen Sphären.
(S. 249)
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Leben

Hell strömt aus Schluchten der Vergangenheit
In unsre Becher, die wir schwärmend füllen,
Ambrosisch Blut, aus dessen Purpurhüllen
Verklärtes Leben funkelnd sich befreit:

Sehnsucht und Liebe, Tränen, Lächeln, Lust
Und Kampf und Fluch und siegende Gedanken
Der Toten, die wie wir den Festwein tranken,
Lenzlaub im Haare, unser nicht bewußt;

Und wir gewahren nicht, ins Heut versonnen,
Daß jeder Tropfen, den die Zeit ergießt,
Von unsrer Seele löst und so durchglutet

Herniederrinnt in einen dunklen Bronnen,
Der einst in andere Schalen überfließt
Berauschter Zecher, die der Tag umflutet.
(S. 249)
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Wie zwei Tote, die um Liebe starben,
- Duftend Feuer schmilzt sie nun zusammen -
Ruhn wir still, umblaut von Frühlingsflammen,
Satt in Wonne nach der Trennung Darben.

Hoch im Himmel mit geblähten Säumen
Drehn die Stunden sich in Sturmestänzen,
Ihre blanken Sohlen sehn wir glänzen,
Doch kein Ton fällt aus so fernen Räumen.

Aber langsam sinken die vergangnen
Tage, die das Herz in Qual belauschte,
Schwer hinunter in verhüllte Tiefen,

Wie wenn unterirdisch Goldestriefen
In des Felsens hohle Becken rauschte,
Jenseit von uns ewig dicht Umfangnen.
(S. 250)
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Da wo der frühen Falter gelbes Lodern
Um wild Gestrüpp am Bergeshange zückte,
Und Bäche quollen durch verjährtes Modern,
Verweilten wir, die Glückes Last erdrückte.

Wie von des Meisters Hand entfesselt Erz
Goß sich die Kraft der Sonne auf uns nieder,
Sie stürzte rot durch unser schlagend Herz
Und wuchs wie goldne Haut um unsre Glieder.

Nun ist mir so, als ob dort oben bliebe,
Den Elementen kund und zugesellt,
Unsterblich eins: das Strahlenbild der Liebe,

Indessen wir, Staub ohne Sinn und Dauer,
Der vor der Stunde blindem Schlag zerfällt,
Hinunterstiegen in das Tal der Trauer.
(S. 250)
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Uralter Worte kundig kommt die Nacht;
Sie löst den Dingen Rüstung ab und Bande,
Sie wechselt die Gestalten und Gewande
Und hüllt den Streit in gleiche braune Tracht.

Da rührt das steinerne Gebirg sich sacht
Und schwillt wie Meer hinüber in die Lande.
Der Abgrund kriecht verlangend bis zum Rande
Und trinkt der Sterne hingebeugte Pracht.

Ich halte dich und bin von dir umschlossen,
Erschöpfte Wandrer wiederum zu Haus;
So fühl ich dich in Fleisch und Blut gegossen,

Von deinem Leib und Leben meins umkleidet.
Die Seele ruht von langer Sehnsucht aus,
Die eins vom andern nicht mehr unterscheidet.
(S. 251-252)
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Wir wanderten von junger Liebe trunken
In dieses Friedhofs grün verhangnen Gängen,
Wo Immergrün und Efeu sich bedrängen,
Mit Toten in der Gräber Nacht versunken.

Der alten Weiden Schatten und der Birken
Schlug schirmend über unserm Haupt zusammen,
Gelassen duldend ungesühnte Flammen
Zu flüchtger Rast in heiligen Bezirken.

Von langer Irrfahrt sind wir nun zurück
Und suchen, die verwildert Kraut umspann,
Der Väter Kreuz, auf eingesunknen Stätten,

Still in vergangner Wonne, künftgem Glück.
Hier werden wir, wenn unsre Zeit verrann,
Nie mehr geschieden, nicht mehr zwei, uns betten.
(S. 252)
_____


Aus: Ricarda Huch Gesammelte Werke
Fünfter Band: Gedichte, Dramen, Reden,
Aufsätze und andere Schriften
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Kiepenheuer & Witsch 1966-1970





 

 

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